Sollen wir tatsächlich alles wegwerfen?

In den letzten Jahren ist Minimalismus zunehmend ins Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit gerückt. Marie Kondo zum Beispiel sagt uns, wir sollen uns darüber klarwerden, ob die uns umgebenden Dinge uns wirklich glücklich machen. Es gibt Dokumentarfilme von Netflix darüber, wie wir unser unübersichtlich vollgestopftes Leben entschlacken können, und auf Instagram finden sich ehrgeizige, blendend weiße Wohnzimmer, die wir gleichzeitig nie haben werden – man fragt sich, ob in diesen Räumen überhaupt jemand lebt! Wo hat das alles eigentlich angefangen, wo wird es enden und wie wird unsere Wirklichkeit tatsächlich aussehen?

Die De Stijl Bewegung hat das grundsätzliche Konzept der kühnen Geometrie Mondrians, die die rationale Architektur eines Mies Van de Rohe beeinflusst hat, kurz nach dem Ersten Weltkrieg in Europa populär gemacht. Später dann nahm sie in der Kunstszene der 1960er Jahre in New York mit den monochromatisch schwarzen Bildern von Frank Stella Fahrt auf und drang mehr und mehr in die Gebrauchsgegenstände von Künstlern wie Dan Flavin und Carl Andre ein. Auf der anderen Seite des Pazifischen Ozeans hatte der Zen Buddhismus in Japan das häusliche Leben bereits seit über 1000 Jahren dazu inspiriert, den Wert des leeren Raums zu schätzen und Qualität über Quantität zu stellen, wenn es um Besitz ging.

Aber die Zeiten haben sich geändert. Die asketische wenn auch beeindruckende Einfachheit des Minimalismus des 20. Jahrhunderts unterscheidet sich ein wenig von der, die gegenwärtig an Popularität gewinnt. Heute ist Minimalismus zugänglicher und weniger restriktiv als frühere Versionen. So muss es auch sein, denn jenseits von Design und kreativem Ausdruck ist das Leben mit Wenigem mehr als alles andere zu einer ökologischen Notwendigkeit oder zu einem Eingeständnis an soziale Verantwortlichkeit geworden.

Dank Experten des Minimalismus wie Joshua Fields Millburn & Ryan Nicodemus, die Sie vermutlich als Die Minimalisten kennen werden, und die berühmte japanische Entrümplerin Marie Kondo, hat sich die Welt des Minimalismus unlängst den breiten Massen geöffnet. In einer Welt stetig steigenden Mehrverbrauchs, lehnen immer mehr Menschen gerade solche Dinge zunehmend ab, von denen sie wissen, dass sie schlecht für sie sind, und bemühen sich bewusst um ein gesünderes Leben. Dokumentarfilme von Netflix, Blogs, Podcasts und Bestseller von Leuten wie Marie Kondo und den Minimalisten helfen Millionen Menschen, sich um eine Art von entschlackendem Minimalismus zu bemühen, der befreiend wirkt, öko-freundlich und der tatsächlich machbar ist.

Bei all dem ist es jedoch wichtig, sich zu verdeutlichen, was diese neue Evolution der Bewegung eigentlich bedeutet. Die Minimalisten definieren sie als ein „Werkzeug, um das Überzählige im Leben gegen eine Betrachtung darüber einzuwechseln, was wirklich wichtig ist – denn nur so finden wir Glück, Erfüllung und Freiheit.“

Statt sich also dafür einzusetzen, auf alles zu verzichten oder in einem Glashaus mit nur dreißig Gegenständen zu leben, geht es darum, unseren Besitz nur auf nützliche, haltbare Dinge zu beschränken, die wir wirklich lieben und allen Ballast über Bord zu werfen. Eben all die Dinge, die, wenn wir ehrlich sind, wir gar nicht brauchen. Die, die sich für diese Lebensweise einsetzen, glauben daran, nur so die Freiheit zu gewinnen, sich ausschließlich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Indem wir unser Heim entschlacken, erklären sie, befreien wir unseren Geist.

Selbst Marie Kondo, Autorin des Buchs Magic Cleaning: Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert, die im Jahr 2015 von Time Magazine zu einem der einflussreichsten Menschen gekürt wurde, sagt eigentlich gar nicht, man solle auf alles verzichten. Im Gegenteil, sie spricht darüber, wie wichtig es sei, uns mit Dingen zu umgeben, die wir lieben, die wir wertschätzen und denen gegenüber wir ein Gefühl von Dankbarkeit empfinden: Wir sollen die richtigen Dinge besitzen und sie hegen und pflegen.

Wir sollten an dieser Stelle noch darauf hinweisen, dass ein minimalistischer Lebensstil nicht für alle Menschen gleich aussieht. Und er muss auch nicht schwer sein. Man kann es langsam angehen. Die Minimalisten schlagen vor, das 30-Tage-Minimalisten-Spiel zu spielen: Am ersten Tag spenden, verkaufen oder recyceln Sie ein Objekt, das Sie nicht mehr brauchen. Am zweiten Tag steigern Sie das auf zwei Gegenstände und so fort. Das ist eine Herausforderung, die Spaß macht und Sie auf den Weg hin zu einem minimalistischeren Leben bringt, während es Sie gleichzeitig antreibt, herauszufinden, was in Ihrem Leben Wert hat und was nicht. Das Ziel bleibt, durch die Entrümplung des Belanglosen mehr Platz für ein sinnvolles Leben zu schaffen.

Vor allem aber geht es beim Minimalismus darum, unsere Seele baumeln zu lassen und gleichzeitig etwas für unseren Planeten zu tun.

Wenn Sie also bereit sind, Ihr Leben zu entrümpeln, warum nicht gleich heute mit dem ersten Tag des Minimalisten-Spiels beginnen? Sie haben Zeit bis Mitternacht!

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