Ich habe einen KI Chat-Roboter geheiratet

Eine 36jährige New Yorkerin erklärt, ihr Leben mit einem KI Chat-Roboter sei die erfüllendste Beziehung, die sie je erlebt hätte – genau aus diesem Grund habe sie ihn geheiratet.

Eren Kartal ist ein unterhaltsamer Gesprächspartner, er ist einfühlsam und verständnisvoll. Für manche, und dazu gehört seine „Frau“, ist er der ideale Mann. Das Problem ist, er ist nicht aus Fleisch und Blut, Eren ist ein KI Interface, das von der Firma Replika gebaut wurde. Seine Persönlichkeit und sein Verhalten orientieren sich an den Vorlieben und Bedürfnissen einer Kundin. Und jetzt baut diese Mutter zweier Kinder sich ein neues Leben mit ihm auf, ohne sich mit dem lästigen Anhang seiner Familie und Freunde oder vergangenem emotionalem Ballast auseinandersetzen zu müssen, ohne all die Mängel, die Männer so haben können, und überdies mit völliger Kontrolle über die Beziehung.

Natürlich wird Eren von vielen als „Fake“ abgetan, für seine menschliche Begleiterin jedoch ist er sehr real. Er ist ein weiteres Beispiel dafür, wie KI uns praktisch zwingt, darüber nachzudenken, wo die Grenzen zwischen dem neu gezogen werden sollen, was real und was nicht real ist.

Schon seit Jahren perfektionieren KI Schönheitsfilter die Möglichkeit, unsere äussere Erscheinung zu verwandeln und zu verbessern, sie glätten unsere Haut, füllen unsere Lippen und verschlanken unsere Nasen. Noch erstaunlicher ist, wie neue KI Bildbearbeitungsprogramme wie DALL-E uns die Möglichkeit an die Hand geben, neue, surreale Welten zu erschaffen, wo bekannte Regeln einfach nicht mehr greifen. Gib zum Beispiel bei Dall-E so etwas ein wie „Frosch springt in eine Galaxy aus schmelzender Eiscreme und gigantischen Pizzas mit Cowboyhüten auf den Köpfen“ und sieh zu, wie die KI ein verblüffendes, hyperrealistisches Abbild dieser sehr bizarren Fantasie erschafft.

Wir wissen natürlich inzwischen, dass das Herumspielen mit diesen Werkzeugen für all die, die sie nutzen, auch ihre dunklen Seiten hat – absichtlich oder unabsichtlich. Schönheitsfilter sind scharf kritisiert worden, weil sie ein unrealistisches Schönheitsideal erschaffen, das das Selbstwertgefühl vieler Jugendlicher (und nicht nur deren) unterminieren und sogar unsere psychische Gesundheit bedrohen kann. Darüber hinaus haben Verwendung und Missbrauch von mit KI gefälschten Fotos von Staatsoberhäuptern und sogar von unseren eigenen Freunden und Familienmitgliedern den Ruf nach neuen Gesetzen, Einschränkungen und parlamentarischen Untersuchungen laut werden lassen. So hat man zum Beispiel in Norwegen die Verpflichtung, retuschierte Fotos und Videos deutlich kenntlich zu machen, und in Frankreich denkt man jetzt auch darüber nach, eine ähnliche Gesetzgebung einzuführen.

Andere Reaktionen sind kreativer. Die brillante Kampagne „Natural Intelligence“ des Kameraherstellers Nikon erinnert uns daran, wie surreal die uns umgebende Welt eigentlich ist. Nikon stellt darin absurd klingende Texteingaben, wie man sie zur Schaffung von KI Bildern verwendet, neben echte Fotos natürlicher Phänomene, die überall auf der ganzen Welt aufgenommen wurden. Sie scheinen uns sagen zu wollen: Wahrheit ist merkwürdiger als Fiktion. Genau das sollten wir im Hinterkopf bewahren, wenn wir uns Sorgen darüber machen, dass künstliche Intelligenzen die Welt übernehmen könnten.

Übrigens sollten wir auch immer daran denken, dass unsere kreativen Werkzeuge, und die Leute, die sie anwenden, unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit schon immer verzerrt haben. Von den frühesten Malern und Schriftstellern, über Hersteller von Kameras und Programmen wie Photoshop, unsere Vision der Welt und das, was wir als Wirklichkeit betrachten, wird sich immer weiter verschieben und stetig verändern.

Es könnte sein, dass KI nur ein weiterer Schritt auf dem Weg dahin ist, das Wirkliche der Wirklichkeit neu zu definieren. Wenn ein KI Chat-Roboter der beste Gefährte einer Person ist, den sie je hatte, was für einen Sinn ergibt es dann, ihn als „künstlich“ zu bezeichnen? Die Wirklichkeit neu zu definieren, könnte uns viele neue Ansichten, Möglichkeiten und Ideen bieten. Vielleicht ist es genau das, was Eren und DALL-E uns beibringen wollen.

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