Im Film “Der dritte Mann” meint Orson Welles, dass die Kuckucksuhr ihre Erfindung den 500 Jahren Frieden und brüderlicher Liebe in der Schweiz zu verdanken hat. Hatte er recht oder ist seine Theorie nur ein Kuckucksei?
Laut Harry Lime, der von Orson Welles gespielten Hauptfigur, waren es die 30 Jahre Gewalt und Krieg im späten Mittelalter, die letztlich Genies wie Leonardo Da Vinci oder Michelangelo und die die hervorbrachten. Wegen der deutlich friedlicheren Verhältnisse hätten die nördlichen Nachbarn dagegen nur dieses etwas merkwürdige Zeitmessgerät hervorgebracht. Eine gewagte These, die Welles in diesem Film einen Schurken sagen lässt, der wenig vertrauenswürdig erscheint. Es gibt also durchaus gute Gründe, seiner Theorie zur Entstehung der Kuckucksuhr zu misstrauen.
Wo tauchte eigentlich erstmals erste Kuckucksuhr auf?
Die Uhrenherstellung ist zwar genauso typisch für die Schweiz wie der Emmentaler Käse. Dennoch sind die Eidgenossen nicht die einzigen, die hier Bemerkenswertes geleistet haben. Auch der Schwarzwald darf auf eine hunderte von Jahren alte Tradition in der Uhrenfertigung zurückblicken. Bis heute sind die Kuckucksuhren aus dem Schwarzwald bei Touristen aus aller Welt beliebt.
Dabei ist nicht klar, woher die erste Kuckucksuhr wirklich stammt. Zahlreiche frühneuzeitliche Beschreibungen dokumentieren kuckucksuhrartige Mechanismen in Österreich und Deutschland. So richtig in Fahrt kam die Uhrenherstellung wohl erst im 18. Jahrhundert, als kleine Manufakturen im Schwarzwald damit begannen, Uhren mit hölzernem Mechanismus und zwitscherndem Kuckuck herzustellen.
Erst Anfang des 20. Jahrhunderts erschienen dann auch Schweizer auf der Kuckucksuhr-Bühne. 1920 begann das Familienunternehmen Lötscher mit der Herstellung von Kuckucksuhren aus Altholz im Chaletstil. Sie liessen Melodien wie „Edelweiss“ und „Der fröhliche Wanderer“ erklingen, was noch heute viele Menschen aus der Schweiz und dem Ausland erfreut.
Spielt die Herkunft eine Rolle?
Nicht wirklich. Denn Genialität hat viele Gesichter. Die Schweizer haben weder das Messer, noch die Uhr, den Stuhl, die Brücke oder klaren Linien ihrer Designsprache erfunden. Aber mit ihrer “Swissness” ist es ihnen gelungen, sich Dinge wie das Schweizer Taschenmesser, die Schweizer Bahnhofsuhr, den Landi-Stuhl, die ein Kilometer lange New Yorker George Washington-Brücke oder das Gestaltungsraster des weltberühmten Schweizer Designs auszudenken.
Entgegen der Kuckucksuhrtheorie von Orson Welles ist also die Schwarzwald-Version nachweislich älter als ihre Schweizer Cousine. Deshalb darf man ihr auch gern den Vorzug geben. Aber da wir in diesem Jahr den hundertsten Geburtstag der Schweizer Kuckucksuhr feiern, wird sie wegen ihrer inspirierten Originalität wohl immer einen Platz an unseren Wänden (und in unseren Herzen) behalten.
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