Auf TikTok und Instagram ist es ein Star mit Millionen ergebener Fans und mit verlinkten Hashtags wird es immer wieder über zehn Millionen Mal geteilt. Es ist ein Freund für zu Hause und ein ständiger Begleiter auf Reisen, ein allbekanntes Nahrungsmittel und aufstrebendes Lifestyle-Produkt. Die Rede ist von Dosenfisch. Und die ganze Welt hat angebissen.
In den letzten Jahren ist es Fischkonserven gelungen, vom blossen Nahrungsmittel zum absoluten Lifestyle zu werden. Caroline Goldfarb, Gründerin von Fishwife, einem jungen und sehr selbstbewussten Unternehmen für Fischkonserven, nennt sie „hot girl food“ und vermarktet ihre erstklassigen Produkte mit sonnigen, kecken und von Hand gemalten Illustrationen. Auf Fotos auf Instagram mit feinsten Fisch- & Meeresfrüchteplatten, liegen ihre Sardinen, Makrelen, Muscheln oder sogar Oktopusse an eingelegtem Gemüse und knusprigem Graubrot in Olivenöl. Wenn dein erstes Date mit einem neuen, potentiellen Partner richtig abgehen soll, empfehlen wir auf jeden Fall eine #tinnedfishdatenight – es gibt nichts Besseres.
Zum grossen Teil war es Amerika, das dieses Fieber ausgelöst hat, als man dort lautstark begriff, was in Ländern wie Portugal, Spanien oder Italien längst hinlänglich bekannt ist: Fischkonserven haben einen Platz auf dem Tisch verdient. Sardellen sind zum Beispiel ein wichtiger Bestandteil in italienischen Pastasossen, und eine grosse Auswahl iberischer conservas haben ihren festen Platz in der lokalen Küche. In den letzten Jahren ist Portugal als Reiseziel immer aktueller geworden, und die neue Leidenschaft der Welt für Klassiker unter den Fischkonservenmarken wie Nuri, Ortiz, Berthe oder Cocagne ist vermutlich proportional zur Menge der angereisten Ausländer gestiegen, die von sich behaupten können, hier einen „tomato girl summer“ (so nennt die Generation Z das, was früher dolce vita hiess) genossen und mit Blick auf den Douro in einem Café gesessen und Vinho Verde geschlürft zu haben.
Wie schön! Vermutlich aber hat dieser Trend ungleich nüchterner begonnen. Während der Pandemie hat eine von Panik ausgelöste Verknappung viele dazu getrieben, ihre Speisekammern voll zu machen, um einem Lockdown zuvorzukommen. An erster Stelle stand damals Toilettenpapier, an zweiter Stelle folgten Nahrungsmittel. Frischer Fisch war schwer zu bekommen und die meist altbackenen Verpackungen der oft über hundert Jahre alten Marken von Fischkonserven, fühlten sich zweifellos gut an und sie waren eine farbenfrohe Erinnerung an einfachere Zeiten. Wir steckten zu Hause im Schlafanzug in Zoom-Meetings fest und mussten für niemand anderen kochen als für uns selbst. Das genau war der Augenblick, als die bescheidene, eingedoste Sardelle aus ihrem Schattendasein ins Rampenlicht trat. Fischkonserven kann man fast unbegrenzt aufbewahren und sie vereinfachen die Zubereitung von Speisen erheblich: Öffne eine Dose, verteile das Fischfleisch mit der Gabel auf einer Scheibe Brot oder auf Crackern und voila – du hast dir eine Mahlzeit bereitet.
… oder zumindest damit begonnen. Glaubt man Tausenden von Fischkonservenliebhabern, ist die unerlässliche Zugabe für jeden eingedosten Fisch Säure. Denk also an Zitronen, Kapern oder Tomaten, Brot aus Sauerteig oder ein Glas Wein. Kräuter und Gemüse sind auch gut, wir denken da in erster Linie an Dill oder Fenchel. In Wirklichkeit kannst du aber mit Dosenfisch so gut wie alles machen. Das wirklich Wunderbare daran ist, dass du gar nicht viel tun musst. Es gibt zwar in letzter Zeit eine Menge neuer Kochbücher, die Fischkonserven zu ihrem Thema gemacht haben, und es finden sich Titel wie The Magic of Tinned Fish (Die Magie der Fischkonserve), aber mal ehrlich, Dosenfisch könnte in der Zubereitung einfacher nicht sein.
Darüber hinaus ist die allgemein entflammte Leidenschaft für Fischkonserven wahrscheinlich auch eine gute Nachricht sowohl für die Umwelt und als auch für unsere Gesundheit. Seit langem schon betrachtet man Fisch als integralen Bestandteil der mediterranen Ernährung, in der neu geschaffenen „Atlantischen Ernährung“ ist er das ebenfalls. Fisch enthält viele Proteine, Vitamine und Omega-3-Fettsäuren, obwohl man die auch direkt von der Quelle bekommen kann. Aber vor allem Futterfische wie Sardinen, Heringe und Sardellen, genau die, die man auch meist in Konserven findet, haben im Gegensatz zu anderen tierischen Proteinen einen erstaunlich geringen C02 Fussabdruck. Eine neue Studie zeigte unlängst, dass jährlich an die 750‘000 Leben gerettet werden könnten, wenn rotes Fleisch durch diese Futterfische ersetzt würde, weil dadurch ernährungsbedingte Krankheiten reduziert und überdies die Treibhausemissionen erheblich abgesenkt würden. Das wiederum bedeutet, auch wenn dein „Tomaten-Mädchen-Sommer“ schon längst vorbei ist, und deine Fotos von Lissabon oder Barcelona irgendwo in deinem Telefon begraben liegen, der Charme von Fischkonserven bleibt weiterhin erhalten. Mit seiner ereignisreichen Geschichte und der bedeutenden Rolle in vielen klassischen Küchen, ist Dosenfisch einfach, nachhaltig und auf seine Weise zeitlos – und er hat uns alle am Haken.