Handschrift ist heiss

Vielleicht hast du das Schreiben mit der Hand gegen die Tastatur eines Smartphones eingetauscht, handschriftliche Notizen gegen digitale Memes oder dein privates Tagebuch gegen TikTok-Beichten. Doch auch wenn die Technologie unsere Kommunikation revolutioniert hat, das Schreiben mit einem Stift wird nicht verschwinden.

Um es mit den Worten von Marshall McLuhan zu sagen, dem grossen Vordenker des 20. Jahrhunderts und „Vater der Medienwissenschaften“: Handschrift ist heiss. In seinem Buch Die magischen Kanäle, Understanding Media klassifiziert McLuhan Medien als „heiss“ oder „kalt“, je nachdem, wie viel sensorische Beteiligung sie einem abverlangen.

Handschrift wird bei ihm eindeutig als „heiss“ bewertet, denn das Schreiben mit der Hand erfordert die Beteiligung mehrerer Sinne – die Haptik des Papiers und des Stifts, das Befüllen des Stifts mit Tinte und vor allem die geistige Leistung, Gedanken nämlich in eine körperliche Bewegung, in etwas Materielles zu übertragen. Einen Brief zu schreiben, schnelle Notizen anzulegen oder die Einteilung eines Bullet Journals niederzuschreiben, ist nicht einfach nur produktiv, es ist persönlich. Du hinterlässt eine einzigartige Spur und durch die Schleifen und Striche jedes einzelnen deiner Buchstaben ein Bild deiner selbst.

Sieh dir im Vergleich damit eine Nachricht an, die du in dein Smartphone getippt hast. McLuhan hätte das als „kalt“ bewertet, obwohl er in seinem Leben derartige Geräte nicht mehr erlebt hat. Aber der Vorgang ist losgelöst und vollkommen unpersönlich. Die Tastatur deines Smartphones dient als ein Werkzeug, deine Gedanken in Text zu übertragen, dabei gehen aber sowohl die Textur, der Ton als auch jegliche Individualität verloren. Die Schriftarten sind gleich, jeder Touchscreen fühlt sich an wie alle anderen, und die Menge der Emojis, die du wählst, um deiner Nachricht eine persönliche Note zu verleihen, reduzieren sich auf einige wenige, wie sie jeder andere Mensch auch verwendet.

Egal, ob du dich nun für heiss oder kalt entscheidest, in unserem digitalen Zeitalter schliessen sich diese Technologien nicht gegenseitig aus. Es ist, als würdest du das Rad oder den Wagen nehmen – du hast die freie Wahl. Aber genau wie beim Fahrrad oder dem Auto verändert das Aufkommen neuer Technologien die Art und Weise, wie und wann du die vorangegangene verwendest – es schubst sie in neue Rollen.

Zum Beispiel ein Füller – einst war er ein alltägliches Utensil für die Schule, das sich heute zu einem edlen Symbol gewandelt hat, und Zeichen von Kreativität oder kalkuliertem Nachdenken geworden ist. Das Gleiche gilt für Markenschreibgeräte: Sie sind nicht mehr nur Werkzeuge zum Schreiben, sie dienen zur Vermittlung von Warenidentität und Warenwerten.

Die Handschrift dient heute einem bestimmten Zweck, der die digitale Kommunikation ergänzt, ohne dabei jedoch in einen Wettstreit mit ihr zu treten. Sie zeigt, dass wir uns um andere kümmern und ist uns dabei behilflich, unsere Gehirntätigkeit zu aktivieren und Informationen besser umzusetzen. Paradoxerweise verstärkt die digitale Welt den Wert handschriftlicher Mitteilungen. Denn wenn alles entweder per Email oder getippt daherkommt, wird der Erhalt einer handschriftlich verfassten Nachricht zu einer Besonderheit. Handschriftliche Mitteilungen schaffen sowohl in persönlichen Beziehungen wie in der Markenkommunikation emotionale Verbindungen. Sie sind ein Zeichen von Zuwendung in einer immer stärker automatisierten Welt.

Statt also den vorgeblichen Niedergang handschriftlicher Mitteilungen zu beklagen oder zu übertreiben, sollten wir diesen Wandel vielleicht eher feiern. Stifte und Tastaturen können koexistieren, das Gleiche gilt für Bücher und elektronische Lesegeräte. Handschriftliche Mitteilungen zu verfassen, wird zu einer ganz bewussten Handlung, zur Rückkehr zu etwas Greifbarem in einer Welt, die immerzu verbunden ist, in der man sich aber oft recht bindungslos fühlt.

Die Handschrift bleibt, was sie immer schon war: heiss, heiss, heiss. Gibt es also einen besseren Weg, sich wieder mit diesem heissen Medium zu verbinden, als etwas mit einem Stift zu Papier zu bringen? Nimm also einen Stift zur Hand und sieh zu, was für neue Mitteilungen aus dieser so vertrauten Verbindung entstehen könnten. McLuhan jedenfalls hätte es so formuliert.