Können wir ChatGPT aus den Klassenzimmern fernhalten?

Das neue Semester, das neue Schuljahr stehen vor der Tür, der Beginn wird von den Drohungen und den Versprechungen von KI-Tools wie ChatGPT überschattet. Einige Institutionen werden künstlicher Intelligenz und ihren Werkzeugen die Tore öffnen, andere werden sich darum bemühen, sie aus den Klassenzimmern zu verbannen. Eins ist dabei allen klar: Einfach weitermachen wie bisher, geht nicht!

Nach etwas mehr als anderthalb Jahren seit dem Start von ChatGPT scheint sich die anfängliche Hysterie um generative KI gelegt zu haben. Sie hat die Weltherrschaft nicht errungen, nichts hat zu einem entscheidenden allgemeinen Stellenverlust geführt oder die traditionelle Unterrichtsweise über den Haufen geworfen. Und obwohl KIs immer besser und versatiler werden und für immer komplexere Aufgaben angewendet werden können, scheint es, als wären generative KI-Tools die Taschenrechner und automatischen Übersetzer für diese Generation. Starke aber unvollkommene Werkzeuge für bestimmte Aufgaben.

Was jedoch die Schule angeht, so sind ChatGPT und die Konkurrenz für eine Sache echt gut: Sie machen die Hausaufgaben. Besonders wenn es um schriftliche Arbeiten und Zusammenfassungen geht, die an allen Schulen der Welt zum festen Repertoire von Hausaufgaben gehören: Schreiben Sie in mindestens 500 Wörtern einen Aufsatz über die Bedeutung der Magna Carta! Über das Kreislaufsystem des Menschen. Über die Vor- und Nachteile von Telearbeit. Über die Ursachen der russischen Revolution.

Bei solchen Themen ist eine generative KI perfekt fürs Schummeln. Irgendwann einmal hast du vielleicht selbst einen besseren Schüler in deiner Klasse bezahlt oder durch Drangsalieren dazu gezwungen, dir die Hausaufgaben zu schreiben. Dann kam das Internet, und du konntest einen Essay-Schreiber auf der anderen Seite der Welt dafür zahlen, es für dich zu erledigen. Jetzt gibt es ChatGPT und du brauchst niemanden mehr zu bezahlen. Genau betrachtet ist eine generative KI nichts weiter als die neueste Version eines uralten Problems.

Können Schulen oder Universitäten all das verhindern? Technologie mit Technologie zu bekämpfen scheint nicht die Lösung zu sein. Werkzeuge zum Aufspüren von Plagiaten können bei von KIs geschriebenen Aufsätzen nicht angewendet werden. Auch die KI-Erkennungswerkzeuge funktionieren nicht besonders gut. Im letzten Jahr hat OpenAI, die Erschaffer von ChatGPT, ihr eigenes KI-Erkennungstool abgeschaltet, es habe nur eine „geringe Genauigkeit“ aufgewiesen, hiess es. Derartige Tools zum Einsatz zu bringen, kann zu einem realen Problem werden, denn der falsche Betrugsvorwurf einer KI, kann die akademische Karriere eines Studenten oder einer Studentin ruinieren.

Vielleicht gibt es einen anderen Weg. Einige Schulen und Universitäten beginnen, eine alte Lösung in neuem Licht zu betrachten: Handschrift. Um gegen die Verwendung generativer KIs anzugehen, kehrten einer Umfrage des Vorjahrs zufolge 50% aller teilnehmenden Unterrichtenden dazu zurück, Hausaufgaben handschriftlich anfertigen zu lassen. Darunter befinden sich einige, die zuvor die Verwendung künstlicher Intelligenz für das Verfassen von Hausaufgaben nicht nur erlaubten, sondern sogar beförderten, wie James Stacey Taylor, Philosophieprofessor am College of New Jersey

Unlängst schrieb er in der Times Higher Education, er halte heute ein Verbot von KI dadurch aufrecht, dass er alle Arbeiten im Kursraum erledigen lässt. Er verwendet die Kontaktstunden mit den Studierenden im Kurs für gemeinsames Lesen, Diskutieren, Verstehen, das Schreiben von Zusammenfassungen und schliesslich für das Formulieren von Argumenten, um die Hausarbeit im Kurs schreiben zu lassen. All das handschriftlich und ohne elektronische Geräte. Seine Studierenden können die letzte Fassung ausserhalb des Kurses schreiben und vermutlich auch tippen, aber die Abgabe erfolgt zusammen mit allem zuvor handschriftlich Erstellten.

Es geht ihm nicht darum, Studierende beim Schummeln zu erwischen, es geht darum, ihnen alle Werkzeuge an die Hand zu geben, derer es bedarf, sich erfolgreich auf die zu lesenden Texte einzulassen, ihre eigene Meinung zu formulieren und so erfolgreich eine Hausarbeit zu verfassen. Es geht auch darum, die Arbeit der Studierenden zu entschleunigen und ihr eigenes Leseverständnis kritisch zu hinterfragen. Dadurch aber, dass die Aufmerksamkeit von Schuldzuweisungen, Betrug und Misstrauen abgelenkt und auf den Unterricht und den Lernprozess an sich gelenkt wird, wäre es gut, wenn Taylors analoger pädagogischer Ansatz zum Vorbild für andere Unterrichtende würde. Allen Pädagogen ist in Bezug auf zum Beispiel ChatGPT eins klar: Künstliche Intelligenz ist da und sie geht nicht wieder weg. Schüler, Studierende und Erwachsene werden sie auf tausendundeine Weise anwenden und missbrauchen. Doch als Teil eines wachsenden Trends, Technologien im Klassenzimmer einzuschränken, zeichnet sich eins deutlich ab: Wenn wir wirklich denken lernen wollen, sind Schreibinstrumente und Handschrift unerlässlich.