Die Papierknäuel-Theorie für die Bewältigung von Aggressionen

Vermutlich hast du das schon einmal im Fernsehen gesehen: Jemand wird durch ein Stück Papier, auf dem eine negative Nachricht steht, so wütend, dass es in tausend Stücke gerissen wird. Ein Trennungsbrief wird bis zur Unkenntlichkeit zerknüllt, ein Examen mit schlechter Note total geschreddert oder eine Zeitung mit einer schlechten Kritik wird ins Feuer geschmissen. Kommt dir das zu dramatisch vor? Vielleicht, aber diese bekannten Szenen sind genau der psychologische Trick, den wir brauchen, um unsere Wut zu überwinden.

All das mag einem vollkommen intuitiv vorkommen. Aber es gibt noch andere Möglichkeiten, mit seinen Aggressionen umzugehen, man kann zum Beispiel auch auf einen Sandsack einprügeln oder im Zimmer herumtrampeln, um seiner angeschlagen Emotionen Herr zu werden. Aber ist es darüber hinaus nicht immer befriedigend, wenn die Wissenschaft unsere instinktiven Reaktionen unterstützt und siehe da, ein Blatt Papier mit einer schlechten Nachricht in heller Wut zu zerstören, hilft tatsächlich.

Laut einem kürzlich in dem Online-Magazin Scientific Reports by Nature veröffentlichten Artikel kommt es allerdings sehr darauf an, wie man es tut. Nur indem wir unsere Gedanken zunächst auf ein Blatt Papier schreiben und dies dann vernichten, können wir uns von unserem Ärger befreien und mit unserem Leben weitermachen.

Um das zu zeigen, baten Forschende in Japan die teilnehmenden Personen – ausnahmslos UniversitätsstudentInnen – einen kurzen Aufsatz zu schreiben, der dann von einem Doktoranden bewertet wurde. Das folgende Feedback war gemein, böse und offen gestanden vollkommen unprofessionell mit Formulierungen wie: „Ich hätte nie gedacht, dass ein gebildeter Mensch so etwas schreiben würde.“ Die teilnehmenden StudentInnen wurden gebeten, vor dem Schreiben des Texts und nach Erhalt der negativen Bewertung, ihr eigenes Mass an Ärger einzuschätzen. Anschliessend sollten sie analytisch an das Thema herangehen und ihre Gedanken über die Bewertung niederschreiben. Was sie nach der Niederschrift ihrer Gedanken taten, hing dann davon ab, in welche Gruppe sie von den Forschenden eingeteilt worden waren: Die eine Gruppe zerknüllte ihre schriftlichen Überlegungen oder steckte sie in einen Papierschredder, die andere Gruppe behielt ihre Antworten bei sich.

Das Ergebnis dieser Selbsteinschätzung ergab, dass die, die ihre Bewertungen zerknüllt oder geschreddert hatten, dadurch ihren Ärger überwinden konnten, während die, die ihre Antworten aufbewahrt hatten, ebenso wütend blieben wie zuvor.

Diese Ergebnisse sind im Hinblick auf andere intuitiv bekannte Phänomene wie das Schreiben eines Tagebuchs, einen allgemeinen Aufräumtag oder ein Sich-Lösen von seinen Gedanken á la Marie Konde, sehr interessant, denn sie alle fühlen sich unter Umständen so an, als würde man sich dadurch von seinen eigenen Emotionen befreien können. Andererseits, so ein Aufräumtag mag ja gut und schön sein, aber vielleicht legt diese japanische Untersuchung eher nahe, du solltest am Ende des Tages die geschriebenen Tagebuchseiten einfach herausreissen und sie vernichten, bevor du das Licht löschst, um die volle Wirkung der Wutbewältigung erzielen zu können. Denn wie wir schon früher sagten: Das Führen eines Tagebuchs ist nichts für schwache Nerven.

In jedem Fall hat diese Untersuchung gezeigt, dass handschriftliches Schreiben dir nicht nur hilft, deine Aggressionen zu bewältigen, sondern sie darüber hinaus ganz zu beseitigen. Wenn dir also beim nächsten Mal die Galle überkocht, denk über deine Gefühle nach und schreibe sie auf ein Blatt Papier. Und dann vernichtest du es. Zerknüll es, schreddere es oder lass all deinen sadistischen Gefühlen über die Vernichtung von Papier auf andere Weise freien Lauf. Achte nur darauf, die Fetzen in den Abfall zu werfen, um keine wütenden Reaktionen deiner Familie oder Kollegen zu provozieren.

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https://www.nature.com/articles/s41598-024-57916-z