Privilegiert. Unkonzentriert. Besessen von Astrologie. Unter den vielen kritischen Attributen, mit denen die Generation Z belegt wird, ist eine, die immer wieder die meiste Aufmerksamkeit erregt: ihre Leidenschaft für #Schnäppchen. Aber seien wir ehrlich, wer hat keine Lust darauf?
Das Diminutiv Schnäppchen leitet sich sprachlich von dem Verb „schnappen“ her und bedeutet neben „verstehen“ und „fangen“ (wie z.B. einen Ball) vor allem auch „an sich nehmen“. Ein Schnäppchen ist heute ein günstiger Kauf, wobei die positive Wertung aufseiten des Käufers liegt und nicht des Verkäufers. Im Internet ist ein Schnäppchen oft ein Produkt, das aussieht wie eine Markenware, aber eine Kopie ist und rein theoretisch sehr viel weniger kostet.
In diesem Sinn sind Schnäppchen also nichts Neues. Billig- oder Raubkopien gibt es, seitdem es Konsumenten gibt, die nicht über die nötige Kaufkraft verfügen, ihre wirklichen Wünsche zu verwirklichen. In einer kapitalistischen Marktwirtschaft generiert das Geschäftspotential eines Schnäppchens oder einer Kopie weitere Geschäftsmöglichkeiten nach dem Motto: Alles, was du herstellen kannst, kann ich billiger machen! Mascara aus dem Drogeriemarkt kostet 5 statt 20 Euro für die berühmtere Marke; ein nachgemachter Eames chair ist für 1.500 statt für 5.000 Euro zu haben.
Kopien können von anonymen Firmen in abgelegenen Ländern hergestellt und in den Tiefen des Internets auf E-Commerce-Plattformen ausgegraben werden. Gleichzeitig können sie aber auch von weltberühmten Markenherstellern gefertigt werden. Mehr als einer davon landete schon vor Gericht oder wenn nicht da, so wurde er von der kritischen öffentlichen Meinung angeklagt, von der Konkurrenz oder auch von kleinen Indie-Labels bestimmte Stile kopiert zu haben. Die Frage bleibt, tun sie es legal oder illegal?
Doch nehmen wir das alles einmal genau unter die Lupe: Kopien und Fälschungen gibt es in einer Grauzone, die von Gesetzen zum Schutz geistigen Eigentums geschützt ist – oder auch nicht, denn tatsächlich sind diese Gesetze in jedem Land verschieden. Steve Jobs formulierte es so: „Gute Künstler kopieren, grosse Künstler stehlen.“ Allerdings ist der Diebstahl geistigen Eigentums sehr viel ernster und auf jeden Fall unzweideutig, wenn es sich um ein Falsifikat handelt.
Falsifikate sind Produkte, die markenrechtlich geschützte Elemente wie z.B. Marken-Logos kopieren und sich als das Original ausgeben. Anders als bei Kopien sind Falsifikate eindeutig illegal – und werden oft auch gekauft, ohne dass Käufer es wissen. Auf Online-Plattformen ist der Verkauf von Falsifikaten explodiert, aber die beginnen langsam, darauf zu reagieren. So berichtete Amazon Anfang des Jahres, man habe 6 Millionen gefälschte Angebote von ihrer Plattform entfernt und in ihren Bemühungen, den steten Fluss dieser Waren zu drosseln, gab man bekannt, man habe gegen Hunderte von Fälschern in Europa, den USA und China Strafanzeige erstattet.
Und obwohl viele Zoomer auf Tik Tok von ihren „echten“ Kopien schwärmen, scheint ihre Leidenschaft für #Schnäppchen nichts anders zu sein als Shoppen im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten. Es geht „um die Wirtschaft, Dummerchen“, so jedenfalls nannte es US-Präsident Bill Clintons Wahlkampfstratege damals.
Mit anderen Worten ist es nichts anderes als die simple Gleichung junge Leute + geringes Einkommen + Inflation im Zusammenspiel mit schwer abzuschaltenden Kaufgewohnheiten, die durch schwerelose online Kauferlebnisse noch befördert werden und so die Vorliebe für Kopien und Nachahmungen erklären könnten. Wenn wir es darüber hinaus als ein andauerndes, situationsbedingtes Problem betrachten, lassen sich – mag sein – auf diese Weise weitere Streitigkeiten zwischen den Generationen vermeiden. Aber zu all dem kommt noch eine in den sozialen Medien herrschende Neigung zu öffentlichen Beichten, in denen Influencer alle möglichen Marotten, Umstände, Probleme und Sünden, die man früher alle für ein grosses Tabu gehalten hätte, darlegen – und dazu gehört auch der Kauf von Fälschungen und Nachahmungen.
Marken mögen sich dagegen wehren, aber sie profitieren durchaus auch von der kostenlosen Werbung, die die neusten Entdeckungen von Kopien in den sozialen Medien bekommen. Es sind, wie es schon oft berichtet wurde, beide, die Kopie und das Originalprodukt, die meist zur gleichen Zeit ausverkauft sind.
Informationen sind in den sozialen Medien allzeit verfügbar – manche sind wahr, andere sind es nicht –, aber möglicherweise ist die Generation Z zynischer, wenn es um die Frage geht, ob Markenversprechen ihren Preis haben. Konsumenten haben lange daran geglaubt, dass viele Nachahmungen – egal ob legal oder illegal – von gleicher oder zumindest ähnlicher Qualität sind wie die Originale. In seinem Buch Gomorrah aus dem Jahr 2006 schrieb Roberto Savino, in Italien würden Designer-Fakes manchmal an denselben Herstellungsstätten und von denselben Handwerkern gefertigt wie das Design-Original.
Darum lautet die richtige Frage in der Beurteilung der Fake-Kultur nicht: „Sind Nachahmungen gut oder schlecht?“, sondern: „In welchem Masse ist eine bestimmte Nachahmung besser oder schlechter als das Original?“ Diese Frage geht weit über den einfachen Preis hinaus, denn sie fragt nach Qualität, Sicherheit, Umweltstandards und sozialer Verantwortung für die beteiligten Menschen auf jeder Stufe der Wertschöpfungskette.
Marken, die sich in einer wachsenden Flut von Kopien und Falsifikaten halten wollen, müssen indes sicherstellen, dass ihre Werte mehr sind als blosse Augenwischerei und dass ihre Preispolitik fundiert ist. Und sie müssen lernen, wie man diese beiden Dinge erfolgreich auf Tik Tok kommuniziert, denn sonst bleiben die preiswerteren Kopien weiter sehr attraktiv und etwas, bei dem sich jede Generation einig ist.