Da auch die Schweiz am kommenden 27. Oktober viel zur jährlichen Verwirrung um das Zurücksetzen der Uhren beiträgt, ist es gut zu wissen, dass es eine Uhr gibt, die immer richtig geht: die legendäre Schweizer Bahnhofsuhr.
Diese Uhr, die 1944 von Hans Hilfiker, einem Ingenieur der Schweizerischen Bundesbahnen, entwickelt wurde, sollte auch aus der Entfernung gut lesbar sein. Deshalb hatte sie keine Zahlen, sondern kleine Skalenstriche und balkenförmige Zeiger. Und da die Schweizer Züge den Bahnhof fahrplanmässig jeweils zur vollen Minute verlassen, wurde auch der Sekundenzeiger weggelassen. Diese Uhr ist somit ein wunderbares Beispiel für Schweizer Design: nur das Nötige – und sonst nichts.
(Wie wunderbar, dass Apple diese Uhr unbedingt imitieren wollte. Die App mit der nachgemachten Uhr für das iOS 6 kostete Apple nachträglich 20 Mio. CHF Lizenzgebühren, als die Schweizer Bundesbahnen als Markeninhaber darauf aufmerksam wurden.)
Aber es braucht natürlich mehr als eine gut aussehende Uhr, damit die Zugverbindungen von Bellinzona nach Basel oder von Lugano nach Lausanne mit exakt der gleichen Präzision funktionieren. Der echte Geniestreich hinter dem Zifferblatt bestand darin, dass jede Bahnhofsuhr in der ganzen Schweiz mit einer Hauptuhr verbunden wurde. Dieser Taktgeber sendet jede Minute ein Signal aus, das die Uhren synchronisiert, damit die Bahnhofsuhren in Zermatt und Zürich exakt dieselbe Zeit anzeigen.
Eine Präzision wie diese mag ausserirdisch erscheinen und sich für unsere menschliche Ungenauigkeit fremd anfühlen. Aber Hilfiker, der auch mit dem von ihm entwickelten Küchenprogramm aus kombinierbaren Modulen berühmt geworden ist, wusste offensichtlich etwas darüber, wie Menschen leben und arbeiten.
Und er wusste, dass bei dem Versuch, einen Zug noch rechtzeitig zu erreichen, 60 Sekunden den entscheidenden Unterschied ausmachen. Darum ergänzte er 1953 bei seiner Neugestaltung der Uhr den roten Sekundenzeiger, für den seine Bahnhofsuhr heute berühmt ist. Die Scheibe am Zeigerende erinnert an die Befehlskelle, mit dem der Stationsvorstand früher den Zug abgefertigt hat. Aber das wirklich Menschliche daran ist, dass Zugreisende jetzt bei einem Blick auf die Uhr ganz genau wissen, ob der Zug in 55 Sekunden oder in 5 Sekunden abfährt – ob sie sich also beeilen müssen oder noch etwas Zeit haben.
Die Uhr selbst scheint sich ebenfalls Zeit zu nehmen – zumindest sehr kurz und einmal alle 58,5 Sekunden. Sie dreht ihre Minutenrunde etwas schneller und bleibt zu jeder vollen Minute 1,5 Sekunden lang stehen, um auf das Minutensignal von der Hauptuhr zu warten. So laufen alle Uhren immer synchron und haben sogar noch Zeit, kurz zu verschnaufen, bevor es weitergeht. Und diese Pause ist so charakteristisch für den markengeschützten Zeitmesser, dass der lizenzierte Uhrenhersteller Mondaine ihn ebenfalls in seine offizielle Schweizer Bahnhofsuhr fürs Handgelenk aufnahm.
Die Schweizer Bahnhofsuhr feierte 2019 ihren 75. Geburtstag und ist heute sowohl im New Yorker MoMa als auch im Londoner Design Museum als Beispiel für ausserordentliches Design zu sehen. Und eines ist klar: Trotz der Zeitumstellung am kommenden Sonntag zeigt dieses gerade gefeierte Symbol für Swissness kein Zeichen der Ermüdung.
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