Den Placebo-Effekt gibt es. Und er ist wirksamer, wenn er schmerzhaft ist. Das zeigten drei Wissenschaftler aus der Schweiz, Deutschland und Belgien, denen im letzten Jahr der Anti-oder lg-Nobelpreis der Medizin verliehen wurde. Sie wiesen nach, dass Placebos mit schmerzhaften Nebenwirkungen – in diesem Fall Brennen in der Nase – wirksamer sind als solche, die keine Nebenwirkungen haben.
Die Wissenschaftler führten ein zweistufiges Experiment durch. Im ersten Schritt wurde den Teilnehmern der Studie das starke Schmerzmittel Fentanyl in Form eines Nasensprays verabreicht, im zweiten Schritt erhielten sie einen schmerzhaften Hitzestoss. Es ging in dem Test vorgeblich darum zu messen, wie wirksam Fentanyl gegen Schmerzen ist.
Allerdings war es nicht wirklich Fentanyl – es war ein Placebo. Und davon gab es zwei verschiedene Arten. Die erste angebliche Fentanyl-Version war eine einfache, schmerzfreie Kochsalzlösung. Die zweite Version war mit Capsaicin versetzt, einem Wirkstoff, der aus Chilischoten gewonnen wird. Diese Substanz wird immer wieder bei irren Tik-Tok-Challenges verwendet, um zu zeigen, wie viel Schmerz man aushalten kann – denn sie brennt erheblich in der Nase.
Bei der Verabreichung der schmerzhaft scharfen Hitze fanden die Forscher heraus, dass diejenigen Teilnehmer, die im ersten Schritt zunächst das pfeffrige Fake-Fentanyl bekommen hatten, im zweiten Schritt über weniger Schmerzen durch die entstandene Hitze klagten als die anderen, die zuerst die milde Kochsalzlösung erhielten. Mit anderen Worten, wenn das Placebo schmerzt, ist es wirksamer für die Verringerung der Schmerzwahrnehmung. Fake wirkt besser, wenn es weh tut.
Dieses Ergebnis, das weitrechende Auswirkungen darauf haben könnte, wie Placebos in der Medizin eingesetzt werden können, ist klassisches lg-Nobelpreis-Material, denn hier wird eine Art von Wissenschaft ausgezeichnet, die einen zuerst zum Lachen bringt, aber dann zum Nachdenken anregt. Der Preis wurde 1991 von Marc Abrahams vom Journal of Irreproducible Results (Zeitschrift für unwiederholbare Ergebnisse), einem Satire-Magazin, das sich über die Wissenschaften lustig macht, ins Leben gerufen. Das Magazin ehrt jährlich brillante wissenschaftliche Exzentrik – von schwebenden Fröschen bis hin zur Physik des Ausrutschens auf Bananenschalen. In diesem Jahr findet die 35. Verleihung an der Boston University statt, zur Feier des Tages gibt es eine Mini-Oper, Zirkusakrobaten treten auf und leicht verwirrte Nobelpreisträger übergeben die diesjährigen Preise.
Schon seit vielen Jahren hält die Schweiz einen stolzen Platz in dieser respektlosen Ruhmeshalle. Es gab ehemals ein Team, das wissenschaftlich nachwies, dass das Spielen eines Didgeridoos, eines Blasinstruments der australischen Ureinwohner, Schnarchen reduzieren kann. Einmal beschäftigten sich Forensiker mit der Frage, ob bei einer Kneipenschlägerei volle oder leere Bierflaschen besser sind, um anderen den Schädel einzuschlagen. Dann waren da noch die Ökonomen, die einen Zusammenhang zwischen politischer Korruption und dem Bauchumfang von Politikern nachwiesen. Nicht zu vergessen die Biologen, die zeigten, dass Weinkenner tatsächlich den Geruch einer einzigen Fruchtfliege in einem Glas Wein wahrnehmen können. Dieselben hätten sicherlich einen Preis verdient gehabt, als sie aufzeigten, dass amerikanische Hip-Hop-Musik den leckersten Käse macht.
Wahrscheinlich der einzigartigste Schweizer lg-Nobelpreis war der Friedenspreis, der allerdings nicht an Wissenschaftler, sondern an die Schweizer und Schweizerinnen selbst ging. Oder besser gesagt, an die Schweizer Verfassung, die dort die Würde von Pflanzen verankert hat. Das ist eine grundsätzliche Haltung, auf die auch in Prodirs eigenem Manifest Bezug genommen wird. Denn wenn wir sagen, dass sich die Pflege natürlicher Ressourcen in der Schweizer DNA findet, meinen wir das genauso!
Während man sich also darauf vorbereitet, eine weitere Runde unwahrscheinlicher Brillanz mit einem lg-Nobelpreis zu krönen, steht eins fest: Selbst, wenn man ernsthaft mit der Wissenschaft umgeht, heisst das nicht, dass man nicht auch ein bisschen Spass dabei haben kann – oder einen kleinen Schmerz.
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