Stolz auf eine schöne Handschrift, gehört schon lange der Vergangenheit an. Doch wenn man auch heute noch etwas Handschriftliches erhält, kann man ziemlich sicher sein, dass es sich um etwas Wichtiges handelt. Woher stammt dieses Wissen? Und warum verdient das geschriebene Wort ein eigenes Museum?
Als Transkription der gesprochenen Sprache in ihrer ästhetischsten Form ist Kalligraphie wie eine Schnittstelle zwischen Kunst und Schrift. Vor langer Zeit brachten Menschen ihre Gedanken mit Stiften zu Papier oder, besser gesagt, mit Pinseln auf Pergament, weil das für sie eine innere Harmonie schuf und überdies ging es ihnen um das, was sie zum Ausdruck bringen wollten. Es herrschte ein bewusstes Gleichgewicht zwischen dem leeren Raum und dem Platz, der von ihren Buchstaben und Zeichen eingenommen wurde, das nur durch eine geübte Hand erzielt werden konnte.
Im Weltmuseum der Kalligraphie in dem Dorf Orekhovo in Russland wird diese Kunstfertigkeit in immer neuen Ausstellungen unsterblich gemacht. Die Zielsetzung des Museums ist einfach: Es will informieren und gleichzeitig die Vergangenheit bewahren. Die verschiedenen Arten der dort ausgestellten Kalligraphie erstrecken sich über die einzelnen Kontinente, und ihre Geschichte kann Hunderte von Jahren zurückverfolgt werden. Nicht nur Form und Gestalt der Buchstaben unterschieden sich, es waren auch die verschiedenen Techniken und verwendeten Materialien, die sich voneinander absetzen. Sie alle sind Echos einzelner Kulturen und des Stolzes und des Stellenwerts, den die Kalligraphie dort eingenommen hat.
Besonders in China, Japan und Korea schätzte man die Kalligraphie als Kunstform von allerhöchster Bedeutung. Im alten China war sie ein Statussymbol. In Japan dient die intensive Beschäftigung mit dieser Kunst noch heute dazu, geistige Disziplin zu entwickeln. In anderen Teilen der Welt ist es wohl gerade die darauf verwendete Zeit, die vielleicht dafür verantwortlich ist, dass sie in unserem Leben keine so grosse Rolle mehr spielt.
So schön es sein mag, sie zu betrachten, Kalligraphie ist in keiner Weise praktisch. Und obwohl eine gewisse Nostalgie und auch eine Wertschätzung für diese Kunstform weiterhin bestehen, hat die Kunst des Schreibens in der modernen Welt eine vollkommen neue Bedeutung erlangt. Heute bestimmen Unmittelbarkeit und Bequemlichkeit darüber, wie wir kommunizieren, und eine „unleserliche Ärzteschrift“ ist so alltäglich geworden, dass es sogar Onlineforen gibt, die sich damit beschäftigen, unleserlich Dahingekritzeltes zu entziffern.
All das bedeutet nicht, dass die Kalligraphie keinen Platz mehr auf der Welt hat, allerdings kann sich ihre Bedeutung heute nur noch einen Nischenplatz sichern. Doch auch heute noch hat sie ihre Geltung in Hochzeitseinladungen, Urkunden und Kunst bewahrt, die sich die besonders Wortbegeisterten rahmen lassen, um sie an die Wände ihrer Büros zu hängen. Und selbstverständlich in Museen wie dem Weltmuseum für Kalligraphie, wo sich die Geschichte von Ländern auf dem Papier entfaltet und dies nicht nur in dem, was dort steht, sondern vor allem darin, wie es geschrieben wurde.