Nudisten und Vegetarier aller Länder vereinigt euch!

Wie weit würdest du in dieser Welt mit all ihren ewigen Lügen gehen, um die Wahrheit herauszufinden? Im 19. Jahrhundert beschloss eine elitäre Gruppe von Künstlern, Denkern und Revolutionären, dass der Süden der Schweiz weit genug entfernt war. Sie erwarben einen Berggipfel mit weitem Blick über den Lago Maggiore, lehnten den Verzehr von Fleisch ab und bauten ein Wellness Zentrum auf, das man noch heute besuchen kann.

Gleich um die Ecke vom Val Verzasca, wo James Bond einmal einen gewaltigen Luftsprung tat und man heute in Süsswasser schnorcheln kann, liegt die Stadt Ascona. Dort unterschrieben die deutsche Pianistin Ida Hofmann und der belgische industrielle Henri Oedenkoen einen Kaufvertrag über den Erwerb von Ackerland auf dem Monte Monescia, mit dem Ziel, dort eine „Gemüsegenossenschaft“ zu gründen. Kurz darauf wurde der Hügel von seinen neuen Besitzern in Monte Verità umgetauft – der Berg der Wahrheit – tatsächlich aber hatten sie etwas ganz anderes im Kopf als Ackerbau und Viehzucht.

„Gegründet von Wahrheitssuchenden und den Wahrheitssuchenden gewidmet“ – auf dem Monte Verità beschäftigte man sich mit radikalen Rezepten für die Probleme der modernen Welt und dazu gehörten nackte Sonnenbäder, leichte Bekleidung, wilde Tänze, Duschen unter freiem Himmel, minimalistische Holzhütten und eine fleischlose Ernährung. In jenen Jahren waren die Berge des Tessins eine fruchtbare Gegend für derartige Lebensentwürfe, denn die Gegend um Locarno war schon seit Jahren Anziehungspunkt für russische Revolutionäre und sogar gesuchte Anarchisten, die hier Zuflucht vor dem Gesetz fanden.

Bei all ihren verwegenen und hochtrabenden Ideen, wie man in einer Höhe von 321 Metern über dem Meer einen Himmel auf Erden schaffen kann, waren Ida, Henry und die anderen Gründungsmitglieder keineswegs vollkommen abgedreht. Sie waren sich sehr wohl bewusst, dass die anderen Freidenker, genau wie sie selbst, Kinder wohlhabender Industrieller oder niederen Adels waren, dass sie also allesamt über die Mittel verfügten, sich diesen Aufenthalt in ihrer Utopie zu finanzieren.

Mit der Gründung eines Sanatoriums 1904, einer Kunstschule im Jahr 1913 und dem Bau eines Hotels 1923 wurde der Monte Verità zum Anziehungspunkt für eine ganze Generation von Künstlern, Utopisten und Visionären darunter Maler wie Paul Klee, Hugo Ball, einer der Gründer der Bewegung des Dadaismus, der Psychologe Carl Jung, Schriftsteller wie Erich Maria Remarque und Herman Hesse, Tanzpionierinnen der Moderne wie Mary Wigman oder Isadora Duncan, der Reformer des Bildungssystems Rudolf Steiner oder der Soziologe Max Weber – um nur einige Namen zu nennen.

Nachdem Ida in den frühen 20er Jahren nach Südamerika gegangen war, wurde dieser Sehnsuchtsort noch einige Jahre von den verbliebenen Gründungsmitgliedern weitergeführt. Schliesslich aber kaufte ihn Baron Eduard von der Heydt, Bankier des entthronten Kaiser Wilhelms und bedeutsamer Kunstsammler, und er war es, der den Monte Verità um ein modernistisches Hotel erweiterte, für dessen Entwurf Mies van der Rohe unter Vertrag genommen und dessen Bau von Emil Fahrenkamp durchgeführt wurde, beide waren Berühmtheiten der bekannten Bauhaus-Schule.

Es zeugt von der Weitsicht der Gründer des Monte Verità, dass viele ihrer Empfehlungen für einen gesunden Lebensstil im Einklang mit der Natur noch heute Geltung haben und nicht nur zu ihrer Zeit. Heute beherbergt Monte Verità ein Kongresszentrum, ein Hotel und ein Teehaus, die alle für Besucher geöffnet sind. Solltest du den Aufstieg dorthin unternehmen, um die Gärten, die Sonne und die utopische Stimmung über dem Lago Maggiore zu geniessen, so bleib und nimm einen vegetarischen Imbiss zu dir – deine Kleidung musst du dafür allerdings anbehalten.

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www.monteverita.org