Mach eine lockere Faust und klopfe dann mit den Fingerknöcheln gegen deine Stirn. Stoss mit deinem Ellenbogen gegen die Schreibtischkante. Wenn ein Türrahmen in deiner Nähe ist, tritt mit dem Schienbein leicht dagegen. All diese Knochen sind ziemlich hart, oder nicht? Aber es ist nicht nur das Kollagen und das Kalziumphosphat, die deine Knochen so widerstansdfähig machen – es sind die Löcher, die sich darin befinden.
Knochen sind porös. Darum sind alle 206 deines Körpers leicht genug, um sie in der Hülle deiner Haut umhertragen zu können. Dieses komplizierte Netzwerk von Löchern vollkommen willkürlicher Grössen, Anordnungen und Formen – ihr spinodales Gefüge – ist ein wesentlicher Teil ihrer grossen Stärke und gleichzeitig Inspiration für die Welt des Designs und wie es heute von Menschenhand geschaffen wird. Wissenschaftler haben damit begonnen, Knochenstrukturen zu imitieren, um leichtere, stärkere und flexiblere Materialien zu schaffen, die überall, von der rekonstruktiven Chirurgie bis hin zum Flugzeugbau, eingesetzt werden können.
Honigwaben-Design ist ein weiteres strukturelles Element, das von den fleissigsten Architekten der Natur inspiriert wurde, den Bienen – obwohl Honigwabe eigentlich eine falsche Bezeichnung ist. Diese Struktur ist nämlich zunächst der Geburtsort der Bienen und jede Zelle ist der Raum, wo eine Larve sich gemächlich in eine summende Erwachsene verwandelt. Erst dann wird die Wabe mit Honig gefüllt. Anders als das willkürlich aufgebaute spinodale Mikrogefüge von Knochen, sind Honigwaben regelmässig geformte sechseckige Zellen identischer Grösse, die senkrecht zur Spannungsachse angeordnet sind. Die Stärke dieser Struktur, selbst in grosser Anzahl, war im Altertum schon den Chinesen und den Römern bekannt.
Sie wird heute für die Herstellung von leichten, hochkompressiven Stossdämpfungen zum Beispiel in Fahrradhelmen und Rückenprotektoren für Motorradfahrer ebenso eingesetzt wie für Snowboards. Überdies hat die Wabenstruktur Eingang in weniger empfindliche Objekte wie Möbel, Lampen und sogar Schreibinstrumente gefunden.
Ein weiteres von der Natur inspiriertes Design ist die Nase des japanischen Hochgeschwindigkeitszugs. Noch in den 1990er Jahren verursachten diese Züge immer dann einen lauten Knall, wenn sie in einen Tunnel einfuhren, weil sich an der Spitze des mit 300 km/h fahrenden Zugs ein Luftkissen gebildet hatte, das seine Fahrt verlangsamte. Um das Problem zu lösen, dachte der Chefingenieur Eiji Nakatsu über den Eisvogel nach. Sein scharfer, konischer Schnabel ermöglicht dem Vogel aus dem Himmel ins Meer zu tauchen, ohne abzubremsen, um seine Beute zu erlegen. Die Form seines Schnabels verursacht beim Eintauchen so wenige Spritzer oder Wellen, dass die Fische nicht einmal Zeit haben, eine Störung im Wasser wahrzunehmen, bevor sie schon zu Vogelfutter geworden sind.
Durch die Umgestaltung der Nase des Shinkansen in die Form des Eisvogel-Schnabels wurden die Züge leiser, schneller und energieeffizienter. Diese spitzere Form der Nase sieht man heute auch an anderen Hochgeschwindigkeitszügen von Ostasien bis Westeuropa.
Dies waren nur einige wenige Beispiele für Inspirationen, die aus der Natur gewonnen wurden. Wenn du also nach Ideen für dein nächstes Design suchst, ist es vielleicht am besten, du gehst einfach vor die Tür und schaust dich da draussen ein wenig um.