Mit der Toilette fängt schon alles an. Mach dich nach einem Flug oder während der Pause im Theater auf den Weg zur Toilette und du stehst in einer Schlange vor der Tür … allerdings nur, wenn du eine Frau bist.
Betrachtet man das Toilettendesign für die verschiedenen Geschlechter, wird eins sofort klar: Gleich ist noch lange nicht gleich. Dank der Platzeinsparung durch Urinale bedienen gleichgrosse Damen- und Herrentoiletten eine ungleiche Anzahl von Besuchern, denn die wenigsten Männer sind Sitzpinkler – obwohl natürlich viele Argumente dafür sprächen. Aber der Besuch einer Toilettenkabine erfordert einfach mehr Zeit, besonders wenn eine Frau ausserdem ein kleines Kind dabeihat – was für Männer hingegen eher unwahrscheinlich ist. Tatsache ist, der Toilettenbesuch einer Frau dauert im Durchschnitt zweieinhalbmal länger als der eines Mannes. Mit anderen Worten: Männer sind schon rein und wieder raus, wenn Frauen noch in der Schlange stehen und warten.
Toiletten sind dabei nur ein allen vertrautes Beispiel unter vielen für die Tatsache, dass wir in einer Männerwelt leben – und zwar schon von Anbeginn an. Von der Gesundheit und der medizinischen Versorgung über Transport und Sicherheit bis zum Arbeitsplatz, Frauen bleiben sehr oft unsichtbar, wenn es um die dringendsten Bedürfnisse geht und darum, wie dafür Lösungen entwickelt werden.
Denkt an die Nebenwirkungen
Zum Beispiel Medikamente, experimentelle Präparate werden mit grosser Wahrscheinlichkeit zuerst an männlichen Mäusen getestet und danach am Menschen, aber eben an Männern. Wenn sie hier ohne Schaden wirken, wird die Bezeichnung „Sicher für den Menschen“ vergeben – auch wenn die mögliche Wirkung bei Frauen anders sein kann als bei Männern. So werden zum Beispiel einige Schlaftabletten von Frauen langsamer verstoffwechselt als von Männern, was durchaus bedeuten mag, dass sie am folgenden Morgen noch unter dem Einfluss des Medikaments stehen können, wenn sie Auto fahren. Die US-amerikanische Zulassungsbehörde für Arzneimittel (FDA – Food and Drug Administration) hat das nach einer Reihe von Verkehrsunfällen näher untersucht, was schliesslich zu überarbeiteten und geschlechtsspezifischen Leitlinien führte, in denen sichere Dosierungswerte für Männer und Frauen unterschieden wurden.
Sicherheit geht vor – für Männer
Genau wie bei Pharmazeutika, werden auch Sicherheitsausrüstungen meist für das entwickelt, was Caroline Criado Perez, Autorin des Buchs Unsichtbare Frauen: Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert den „Männlichen Prototyp“ nennt: Einen weissen Mann Mitte der Dreissig mit einem Körpergewicht von ca. 70 kg. Dieser männliche Prototyp mag auch der Grund dafür gewesen sein, warum die NASA 2019 einen weiblichen Weltraumspaziergang absagte: Es gab nicht genug Komponenten für Raumanzüge in der Grösse von Frauen. Oder auch, warum Frauen eine 23% geringere Chance haben, in der Öffentlichkeit eine Herz-Lungen-Reanimation zu überleben: Potentielle Retter sind sich nicht sicher, wie man die Herz-Lungen-Maschine bei Frauen anwendet, weil sie nie an Dummys geübt haben, die Brüste hatten. Und ausserdem, warum Frauen eine 47% höhere Chance haben, bei Verkehrsunfällen schwere Verletzungen davonzutragen: Autositze und Sicherheitsmechanismen müssen nicht mit Crashtest-Dummys durchgeführt werden, die die Grösse und die Form von Frauen haben.
Sex in the city
Auch eine Stadtplanung, die Geschlechtsunterschiede nicht bedenkt, bestraft zwangsläufig Frauen. Überall auf der Welt ist es gewöhnlich der Mann, der den Wagen der Familie nimmt, um zur Arbeit und wieder zurück zu fahren, was gleichzeitig bedeutet, dass die Mehrheit der Personen, die öffentliche Verkehrsmittel benutzen, Frauen sind. Folglich sind es mit grösserer Wahrscheinlichkeit also Frauen, die sich während des Tages entweder zu Fuss oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln in den Städten bewegen. Jede Stadtpolitik aber, die die typischen 9 – 17 Uhr Pendler auf Kosten der Sicherheit von Fussgängern und öffentlichen Verkehrsmitteln begünstigt, zieht grundsätzlich Männer den Frauen vor. Eine städtische Bebauung, die Wohngebiete von Einkaufszonen trennt oder die Betreuungsstätten von Kindern weitab von den Arbeitsplätzen einrichtet, tut dasselbe – genau wie Apples 5 Milliarden Dollar Hauptsitz in Cupertino, Kalifornien, mit seinem riesigen Fitnessbereich aber ohne Kindertagesstätte.
Ein Portrait des Künstlers als junge Frau
Obwohl es kaum einen Mann gibt, der sich nicht an die unlängst verstorbene Schauspielerin Raquel Welch in dem Film Eine Million Jahre vor unserer Zeit aus dem Jahr 1966 erinnert, ist es Anthropologen bisher immer schwergefallen, sich Frauen vor nur – sagen wir – zehntausend Jahren vorzustellen. Das hat sich allerdings geändert. Man hat lange angenommen, ohne direkte Beweise dafür in Händen zu halten, dass die grossen prähistorischen Künstler, die in feuchten Höhlen überall in Spanien und Frankreich kunstvolle Darstellungen von Bisonjagden schufen, Männer waren. In einer Untersuchung von 32 vollständig schablonierten Handabdrücken auf den Wänden von Höhlenmalereien im Jahr 2013 fand man heraus, dass 75% davon Abdrücke von Frauenhänden waren, was nahelegt, dass die wahren Höhlenkünstler Europas Frauen und nicht Männer waren. Wie sähe also eine Welt aus, die für Frauen konzipiert ist? Zunächst einmal wäre es eine Welt, in der männliche Prototypen neben weiblichen Prototypen ständen – oder einfach neben Frauen. In dieser Welt gäbe es mehr fussgängerfreundliche Städte mit gemischt genutzten Vierteln zum Wohnen und Arbeiten, mit Kindertagesstätten, Ausgeh- und Einkaufszonen. Telefone – und sogar Stifte – wären so designt, dass sie gut in Frauenhänden lägen, Sicherheitsausrüstungen und Arbeitsbekleidung würden Frauen passen und ihre Körper schützen. Forschungsfragen in allen wissenschaftlichen und akademischen Disziplinen würden so gestellt, dass Frauen „sichtbar“ wären. Und nicht zu vergessen, eine normale öffentliche Damentoilette hätte mindestens ein paar Toilettenkabinen mehr.