Zeitsparer und Zeitverplemperer

Nach einer Studie der deutschen Firma Brainstream verbringen Frauen 76 Tage ihres Lebens damit, in ihren Handtaschen nach etwas zu suchen. Die automatische Taschenlampe (das Wort passte nie besser) der Firma soll dieses Gewühl ersparen, denn im hellen Tascheninneren findet frau nun alles sofort.

Natürlich stellt sich die Frage, was sie dann mit all der Zeit – mit immerhin 1824 Stunden oder 109‘440 Minuten – tut. Oder anders: Ist es überhaupt wichtig, Zeit zu sparen und ist das ein Gewinn, der sinnvoll genutzt werden kann, oder neigen wir grundsätzlich dazu, Zeit zu verplempern, sie dem lieben Gott zu stehlen, wie der Volksmund schon seit dem Mittelalter sagt? Fragen an Dr. Joachim Hass, Professor für Methodenlehre an der SRH Hochschule in Heidelberg. Er beschäftigt sich mit Zeitwahrnehmung.

OPEN: Herr Dr. Hass, nehmen wir gewonnene Zeit eigentlich als Gewinn wahr, den wir einsetzen und verwenden? Gibt es überhaupt einen „Zeitgewinn“ oder ist das eine Illusion?
JOACHIM HASS: Diese Fragen kann ich eher aus meiner persönlichen Erfahrung beantworten. Aus meiner Sicht ist die Zeit vor allem dann ein Gewinn, wenn man ihr Verstreichen gar nicht bemerkt, weil man mit einer angenehmen oder erfüllenden Tätigkeit beschäftigt ist. Jede Zeit, die für derartige Tätigkeiten freigehalten werden kann – sei es im Arbeitskontext oder in der Freizeit – ist ein Gewinn. Routinen können dabei helfen, wenn sie langweiligere (und damit „zeitbewusstere“) Tätigkeiten schneller erledigen helfen.

Kann man also Zeit verplempern?
Verplemperte Zeit ist aus meiner Sicht Zeit, die weder für sinnvolle Tätigkeiten noch für genussvollen Müssiggang genutzt wird. Im schlimmsten Fall laviert man zwischen beidem hin und her, ohne eines von beidem richtig zu tun.

Aber die sozialen Umstände legen uns irgendwie ein Korsett an.
Zeit bietet einen Rahmen, der erstmal für alle Menschen gleich ist – jeder hat pro Tag genau 24 Stunden Zeit. Allerdings kann natürlich nicht jeder diese Zeit gleichermassen selbstbestimmt nutzen.

Hat Zeitwahrnehmung etwas mit unserem sich verändernden Metabolismus zu tun je älter man wird?
Weniger mit dem Metabolismus, sondern eher mit der Menge an Erinnerungen, die im Laufe des Lebens angehäuft werden. Neues und Interessantes wird tendenziell als länger wahrgenommen. In jüngeren Jahren ist vieles neu und interessant, daher scheint die Zeit gedehnter als im Alter, wo vieles bekannt und Routine ist.

Hat das Glückshormon Dopamin Einfluss auf Zeitwahrnehmung, sind positive Erlebnisse also weniger anhaltend und verbrauchen gefühlt weniger Zeit als negative oder ist es umgekehrt?
Es ist inzwischen unbestritten, dass Dopamin Einfluss auf die Zeitwahrnehmung hat. Insbesondere lässt ein höheres Dopamin-Level (genauer: eine stärkere Aktivierung des D2-Dopaminrezeptors) die subjektive Zeit schneller verstreichen. Das Gegenteil gilt für ein niedrigeres Dopamin-Level (bzw. eine Inaktivierung des D2-Rezeptors). Wie genau dieser Einfluss funktioniert, ist aber noch nicht klar. Ebenso wenig, wie dieser Effekt von Dopamin mit der Bewertung eines Ereignisses als positiv oder negativ zusammenhängt. Es gibt solche Effekte, die sind aber eher komplex und widersprüchlich. Ich führe derzeit selbst Experimente zu diesem Phänomen durch.

Ist es dann möglich, seine eigene Zeitwahrnehmung zu steuern, indem man sich z.B. darauf konzentriert?
Nicht, dass ich wüsste, nein. Die Zeitwahrnehmung scheint sich vielmehr von selbst flexibel an die jeweils aktuellen Erfordernisse anzupassen.

Herr Hass, ich danke Ihnen für das Gespräch.

OPEN NOTE
Dr. Joachim Hass ist Professor für Angewandte Psychologie an der Hochschule Heidelberg.

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