Bananen aus Calgary zu Weihnachten? Ananas aus Liverpool im Februar? Der Ausbau vertikaler Landwirtschaft in grösserem Umfang betrieben, könnte bald alle Arten von Agrarprodukten aus 0 km Entfernung liefern.
Nur wenige Kilometer ausserhalb von Kopenhagen liegt ein Bauernhof, der jährlich 1‘000 Tonnen Nahrungsmittel produziert – ohne Äcker und ohne Sonnenschein. Nordic Harvest nutzt LED-Beleuchtung zusammen mit kontrollierten Anbau- und Düngesystemen, um Feldfrüchte auf einem Bruchteil von der Landfläche zu züchten, die ein herkömmlicher Bauernhof benötigen würde. Auf den Punkt gebracht: Hier hat man errechnet, dass diese Anbautechnik auf einer Fläche in der Grösse von nicht mal 20 Fussballfeldern ganz Dänemark ernähren könnte. Willkommen in der Welt der vertikalen Agrarwirtschaft, in der Anbau und Technologie auf der Suche nach einer Lösung für die Verknappung der Ressourcen in einer wachsenden Bevölkerung zusammenkommen.
Man geht grundsätzlich davon aus, dass Landwirte durch den Gebrauch von Technologien für den Innenanbau von Feldfrüchten mit regulierbarer Temperatur und Licht eine optimale Anbauumgebung schaffen und dadurch gesteigerte Erträge erzielen können. Hochentwickelte Technologien und individuelle Programmierung schaffen die perfekte Kontrolle über jeden Teil des Wachstumsprozesses. Darüber hinaus schützen die laborähnlichen Bedingungen die Pflanzen vor allen äusseren Schadstoffen – vor Pflanzen wie Insekten –, wodurch sich der Einsatz von Pestiziden erübrigen würde. Und weil diese urbanen Bauernhöfe sich auf Geschmack und Qualität konzentrieren statt auf Robustheit des Produkts und seine Transportfähigkeit, sollen Gaumengenuss und Nährstoffgehalt ebenfalls besser sein.
Mit seinen 7’000 Quadratmetern ist Nordic Harvest wahrscheinlich der grösste vertikale Bauernhof Europas, der erste ist er jedoch nicht und der letzte wird er auch nicht sein. Wegen des voranschreitenden Klimawandels und zunehmender Probleme mit Lieferketten müssen Innovatoren, Investoren und Regierungen dringend machbare Lösungen für die Nahrungsmittelproduktion finden, und im Innenanbau sieht man darum eine mögliche Antwort.
Diese Methode könnte jedem erdenklichen Land die Möglichkeit bieten, alle Kulturpflanzen und verschiedenen Gemüse zu jeder beliebigen Jahreszeit anzubauen. Die Vorstellung an 365 Tagen im Jahr Zugang zu jeder Art von Lebensmitteln zu haben, die überdies „lokal“ angebaut würden, klingt sehr verlockend. Doch auch vertikale Landwirtschaft bleibt nicht ohne Kritik.
Ein Hindernis für dieses Konzept sind bisher die Kosten gewesen – sowohl aus finanzieller wie umweltpolitischer Sicht. Es ist viel billiger, sich einfach auf Sonne und Regen als Licht- und Wasserquelle zu verlassen, als Elektrizität zu verwenden, um LEDs und Bewässerungssysteme anzutreiben. Und obwohl verschiedene Sparmassnahmen den vertikalen Anbau als umweltfreundliche Option erscheinen lassen, könnte er am Ende durchaus zur Beschleunigung des Klimawandels beitragen als einen Beitrag zu seiner Lösung zu leisten, wenn der Strom für die Anlagen aus fossilen Brennstoffen stammt.
Ausserdem darf man mögliche weitreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen nicht ausser Acht lassen. Wenn zum Beispiel Calgary plötzlich mehr Bananen als Indien anbauen und Liverpool die Ananasproduktion Costa Ricas überholen würde, welche Auswirkungen hätte das auf traditionelle landwirtschaftliche Gemeinden und vor allem auf deren kulturelle Identität? Die vertikale Landwirtschaft steckt immer noch relative in den Kinderschuhen und wer weiss, wie sie sich entwickeln wird. Eins ist sicher, mit einer Weltbevölkerung, die im Jahr 2050 auf mehr als 10 Milliarden angewachsen sein wird, ist es dringend nötig, befriedigende Lösungen zu entwickeln und zu finden. In vieler Hinsicht ist Innenanbau sinnvoll, vor allem wenn es gelingt, ihn klimaneutral zu machen. Wie es im Augenblick steht, sind 80% der weltweiten Waldrodungen das Ergebnis traditioneller landwirtschaftlicher Produktion und überdies die zentrale Ursache für die Zerstörung von Lebensräumen. Sollte die vertikale Landwirtschaft die Agrarindustrie tatsächlich revolutionieren, stellt sich die Frage: Was wäre, wenn die Zukunft der Landwirtschaft uns dieses verlorene Land zurückgeben könnte?