Von der Lösung zum Problem: Eine kurze Geschichte des Kunststoffs

Alles begann mit einer Billardkugel und einem Preisgeld von 10.000 $.

New York City 1863 – in dieser Zeit wurden Billardkugeln traditionell aus Elfenbein gefertigt. Als diese Tradition jedoch durch eine schrumpfende Elefantenpopulation empfindliche Einschränkungen erlebte, wurden die Hersteller von Billardkugeln gezwungen, sich nach anderen Materialien für die Produktion ihrer Kugeln umzusehen: Man lobte einen Preis von 10.000 $ dafür aus, eine Lösung für das Problem zu finden.

Ein ehrgeiziger Erfinder namens John Wesley Hyatt war einer der ersten, der sich ans Werk machte. Er verband Campher mit Alkohol und Nitrozellulose und formte diese Mischung unter sehr hohem Druck zu einer Kugel. Leider gewann er den Preis nicht, denn das von ihm entwickelte Material war höchst zerbrechlich und leicht entflammbar. Im Lauf der Zeit jedoch erwies sich Hyatts Erfindung als sehr viel wertvoller als 10.000 $. Die neue Ausstellung im Vitra Design Museum in Weil am Rhein in Deutschland: Plastik. Die Welt neu denken, zeigt eindringlich, dass Hyatts Zellulose-Kreation den ersten grossen Sprung in einer globalen Materialrevolution inspirierte: Bakelit.

Dieser von Leo Hendrik Baekeland1907 erfundene leichte und haltbare Kunststoff war das erste Material, der ausschliesslich aus synthetischen Bestandteilen gefertigt wurde. Bakelit wurde als das „Material der tausend Anwendungsmöglichkeiten“ vermarktet und erfreute sich schnell grosser Beliebtheit für die Herstellung von Modeschmuck sowie Motorteilen für Automobile und Waschmaschinen. In schneller Abfolge entwickelte man danach Styropor, Vinyl, Acryl und Nylon, bis man schliesslich beim Polyethylen anlangte, dem heute am meisten verwendeten Kunststoff.

Doch erst mit dem Zweiten Weltkrieg erlebten diese Materialien einen wirklichen Aufschwung. Eine Reihe von Firmen war während des Kriegs mit der Herstellung von Fallschirmen und kugelsicheren Westen aus synthetischen Materialen sehr erfolgreich geworden. Als der Krieg zu Ende ging, mussten sich jedoch viele dieser Firmen auf die Suche nach alternativen Verwendungsmöglichkeiten für ihre Materialen begeben, um sich über Wasser halten zu können: Man begann die erworbenen Erfahrungen auf die Herstellung einer Vielzahl von Haushaltsgütern, von Nahrungsmittelverpackungen bis hin zu Zahnbürsten auszuweiten.

Die Herstellungskosten waren gering, und die Einführung von Gussformen in der Fabrikation ermöglichte eine Massenproduktion im grossen Stil. Damals betrachtete man Plastik als Wundermaterial, mit dessen Hilfe sich jedes Problem lösen liess. Zerbrechliche Gegenstände wurden jetzt sehr haltbar. Dinge, die bis dahin ein zu hohes Transportgewicht gehabt hatten, wurden leicht und damit mobil. Produkte, die für die Arbeiterklasse unerschwinglich gewesen waren, wurden plötzlich jedem zugänglich. Auch in der Entwicklung von Computern, Mobiltelefonen und zahlreichen lebensrettenden medizinischen Geräten spielten Kunststoffe eine entscheidende Rolle.

Doch während man in der Welt des 20. Jahrhunderts von einer leichteren, einfacheren und erschwinglicheren Zukunft träumte, wurden zwei entscheidende Punkte nicht bedacht: Wie kann man all das wieder entsorgen? Und: Welche Umweltprobleme erzeugt dieses neue Material? Diese Problematik konzentriert sich vor allem auf Einwegplastik, das die Verpackungsindustrie bis zum Ende des Jahrtausends in immer grösserem Ausmass verwendete. In der Folge hat man Mülldeponien mit Einwegplastikverpackungen verstopft, deren Abbau Jahrhunderte dauern kann. Die Weltmeere sind voll davon, es befindet sich inzwischen in unserer Nahrungskette, in der Luft, die wir atmen, es ist allgegenwärtig. Das Streben nach Bequemlichkeit kam mit einem hohen Preis, und heute suchen wir verzweifelt nach Möglichkeiten, den entstandenen Schaden zu beseitigen oder wenigstens einzudämmen.

Natürlich gibt es das Bestreben und den Willen, Lösungen zu finden. Laut einer Befragung von 20.000 Menschen aus 28 Ländern durch IPSOS im Februar 2022 fordern 75 % der Befragten ein schnellstmögliches Verbot von Einwegplastik. Dies ist eine eindeutige Nachricht an die Regierungen der Welt. Die Menschheit fordert ein Ende der Verschmutzung durch Plastik und ist bereit, ihr Verhalten und ihren Lebensstil zu ändern, um diese Forderung zu unterstützen.

Es ist schwer, sich eine Welt ohne Kunststoff vorzustellen, aber es muss möglich sein, eine Welt ohne Einwegplastik zu schaffen – das jedenfalls fordert die Mehrheit der befragten Personen. Eine neue Generation von biologisch abbaubarem Bioplastik bietet praktikable Alternativen, mit denen wir uns auf den richtigen Weg begeben. Tatsächlich scheint es, als würden Kunststoffe der Menschheit dann am ehesten dienen, wenn sie ihrer ursprünglichen Idee treu bleiben, denn schliesslich hat sich Hyatt nicht auf die Suche nach einer abbaubaren, sondern nach einer nachhaltigeren Billardkugel gemacht, einer die nicht auf die Ausnutzung von Tieren angewiesen war, sondern einer, die länger hält und haltbarer ist. Einwegplastik hat ein gewaltiges Problem erzeugt, und das nächste Kapitel in der Geschichte des Kunststoffs wartet noch darauf, geschrieben zu werden.

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