Schweine sind auch nur Vegetarier

Zu Gast bei Eduardo Donato auf der Dehesa Maladúa

Schatten spendende Kork- und Steineichen säumen den Weg über die unwegsame Piste zur Dehesa Maladúa, unweit des berühmten Orts Jabugo und mitten im Naturpark Sierra de Aracena y Picos de Aroche gelegen. Hier in dieser einzigartigen Landschaft entsteht der teuerste Schinken der Welt.

Die Maladúa ist ein so prunkloser Ort wie ihr Besitzer, Eduardo Donato. Eduardo ist ein ruhiger, rustikaler, vierschrötiger Mann, mit leiser Stimme und bescheidenem Gebaren, ein Mann, der viel lacht, der Einfachheit schätzt, und von dem ich weiss, dass er kein Fleisch isst. Auch seine Maladúa hat nichts mit anderen luxuriösen und opulenten andalusischen Anwesen gemein, man vermutet hier kein Produkt das von TV-Sendern, Zeitungen und Magazinen aus der ganzen Welt besucht wird und es sogar ins Guinness Buch der Rekorde geschafft hat.

Eduardo Donato kam vor 31 Jahren aus dem katalanischen Tarragona nach Andalusien. Ich möchte wissen, wie ein Katalane nach Andalusien kommt, und sich als Vegetarier einem der urtypisch spanischsten Werte widmet, dem iberischen Schinken: „Über ein Jahr bin ich die gesamte Mittelmeerküste abgefahren und habe mir auch das Hinterland angesehen“, erzählt er, „bis ich diesen Ort mit seiner einzigartigen Ausstrahlung von Ruhe, Beständigkeit und, ja, ich kann nur sagen, absolutem Fehlen von menschlichem Zugriff, mein Paradies, gefunden hatte.“

OPEN: Und wie kommt ein Vegetarier dazu, Schweine zu züchten?
EDUARDO DONATO: Als wir herkamen, ging es darum, aus den Städten wegzukommen und auf dem Land zu leben, fernab von allem wollte ich anbauen, was wir zum Leben brauchten, an Kommerzialisierung dachte ich nie, unser Leben sollte in jede Richtung offen sein, ohne einen konkreten Plan. Durch Zufall entdeckte ich dann eine fast ausgestorbene Schweinerasse, Manchado de Jabugo, von denen es nur noch einen kleinen Bestand gab. Sie sind kleiner, haben nicht die bekannten schwarzen Hufe und ein sehr charakteristisches, geflecktes Fell.

Und jetzt unterhältst du eine Herde.
Ja, aber nie mehr als hundert Tiere. Diese Rasse ist schlanker, beweglicher und setzt Fett langsamer und in geringerer Menge an, vor allem braucht sie mehr als doppelt so lange dafür. Diese Rasse sei unrentabel, sagte man, sie wachse zu langsam, wiege weniger, und ich begriff, dass sie dabei war zu verschwinden, weil sie nicht gewinnträchtig war. Das wollte ich nicht. Viele Dehesas werden kaputtgemacht, weil Züchter die traditionellen Weidetiere durch produktivere Rassen in hoher Zahl ersetzen …

… was heisst produktiv?
Solche Tiere sollen durch Anzüchtung schneller wachsen, aber der gehobene Futteranspruch wird durch Importfutter gedeckt, sie ernähren sich nicht ausschliesslich von Eicheln.

Wie bei dir?
Ja. Eine Dehesa, in der viele Tiere weiden, erkennt man am abgefressenen Buschbewuchs. Bei uns wächst alles kreuz und quer, dieses Land kann von hundert Tieren nicht belastet werden, sie brauchen sich ihre Nahrung nicht zu suchen, müssen keine Büsche abfressen, weil die Menge an Früchten all dieser Bäume für hunderte von Tieren reicht. Meine Tiere sind glücklich, sie leben frei, bewegen sich uneingeschränkt, ihre Ernährung enthält keinerlei Zusatz- oder Schadstoffe, und wir verbringen jeden Tag viele Stunden mit ihnen.

Klingt wie ein Sommernachtstraum …
Mach dich ruhig lustig … aber zurück zu deiner Frage, warum züchte ich Schweine?

Erklär’s mir!
Die Antwort solltest du selbst kennen, du isst doch auch kein Fleisch?

Ich will es von dir hören …
Ich habe schon vor Jahren aufgehört, Fleisch zu essen, weil ich mich vor Industriefleisch ekele, und weil ich die gängige, industrielle Tierhaltung für unmenschlich und zerstörerisch halte. Yuval Harari nennt es in seinem Buch Eine kleine Geschichte der Menschheit einen existenziell bedrohlichen Fehler. Weisst du eigentlich, wie viel ein Schweinemäster, der eine Fabrik mit zigtausend Schweinen betreibt, an jedem Tier verdient?

Nicht viel, dreissig, vierzig Euro?
Danach würden die sich die Finger lecken – denen bleiben um die neun Euro.

So wenig…
Was machen sie also, um ihren Profit zu steigern? Sie müssen das Wachstum beschleunigen, um – wie sie das nennenzwei oder mehr Ernten im Jahr zu haben.

Ernten?
Ja, Ernten. Ganz schön zynisch, nicht? Auf den Dehesas gelten bessere Regeln, und die Tiere haben nach anderthalb Jahren genug Gewicht angefressen. Meine Tiere leben dagegen zwischen dreiund fünf Jahre nachhaltig in privilegierter Umgebung in einem von der UNESCO zum Biosphärenreservat erklärten Gebiet, sie werden geliebt, von mir massiert und gebadet, hören klassische Musik, leben mit ihren Jungen, tatsächlich leben sie besser als viele Menschen auf diesem Planeten, das kann ich dir versichern. Danach braucht der Schinken, unser Markenzeichen, je nach Grösse bis sechs Jahre in der Bodega. Wir machen echtes, nachhaltiges Slow Food, bei uns stehen die Tiere, ihre Ernährung, ihre Haltung und ihr Leben und nicht der Profit im Vordergrund. Das kann ich vertreten und so kann ich als Vegetarier leben und auch dieses Fleisch zu mir nehmen. Und dir schmeckt es ja auch.

Abgesehen davon, wie ist es eigentlich, hier im Herzen Andalusiens als Katalane nach relativ kurzer Zeit den besten und teuersten Schinken der Welt zu machen, der überdies weltweit alle Ökopreise bekommt.
Am Anfang hat man über uns gelacht, und wir waren für die traditionellen Dehesas keine Konkurrenz. Unsere Produktion ist eben sehr gering, pro Jahr schaffen wir nie mehr als 200 Schinken, aber Exklusivität und Qualität haben ihren Preis.

Was kostet einer deiner Schinken?
4‘100 Euro.

Mit dem Preist hast du es ja sogar ins Guinness Buch der Rekorde geschafft. Aber was halten sie hier im spanischen Herzland von einem Katalanen, der ihnen den Rang abläuft?
Ach, weisst du, wir sind alle Kollegen und ziehen am selben Strang.

Wie heisst der Strang?
Für mich heisst er Nachhaltigkeit, mir geht es um Respekt vor dem Leben und vor allem um eine Bewusstwerdung der Menschen, die begreifen müssen, dass wir so, wie wir leben und wie wir vor allem in unmenschlicher Tierhaltung mit anderen Kreaturen umgehen, keine Zukunft haben. Wir nicht, die Tiere nicht, das Land nicht, unser gesamter Planet nicht.

Die Mauren waren hier in Spanien über 700 Jahre die Herrn, damals lebten hier auch Schweine, man sagt, die Araber haben Spanien seine Kultur gebracht, bestimmt waren sie keine Kostverächter, meinst du, sie haben auch Schinken gegessen?
Ich glaube nicht! Bei den Christen wurde das Schwein vom Wild- zum Haustier, aber es ist ein Haustier, dass man weder melken noch als Arbeitstier eingesetzt kann. Ich meine, man musste es schon sehr hoch schätzen, um es durchzubringen, denn es diente ausschliesslich zur Nahrung. Zuerst hat es der Judaismus verboten, dann der Islam, und es hatte in der Gesellschaft von Al-Andalus keinen Platz, wozu es also kultivieren! Das überliess man den Christen, und die liessen die Tiere frei laufen, genauso, wie wir es heute tun.

Wie sehen deine Pläne aus?
(Er sieht mich an, als würde er mich nicht verstehen.) Wie meinst du das? Pläne? Was weiss denn ich! Ich habe keine Pläne, mein Plan heisst: Weitermachen und andere anstecken.

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dehesamaladua.bio

➝ OPEN NOTE
Herbert Genzmer lebt als Schriftsteller, Übersetzer und Dozent in Tarragona und Berlin.

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