Am Fuss des höchsten Bergs der Welt liegt das südliche Basislager. Der Anstieg bis dorthin dauert 11 – 14 Tage. Die Aussicht? Ehrfurcht einflössend! Das Erfolgsgefühl? Unbeschreiblich! Das WLAN? 5$ die Stunde!
Jedes Jahr machen sich Tausende auf den Weg zum südlichen Basislager des Mount Everest in Nepal auf einer Höhe von 5‘364 Meter über dem Meeresspiegel. Von diesen Tausenden erachten sich Hunderte für fit (und wohlhabend) genug, sich auf weitere 40 tückische Tage bis zum Erreichen des Gipfels einzulassen. Diejenigen, die sich auf diese anspruchsvolle Expedition begeben, sprechen anschliessend von einem unvergesslichen und oft sogar spirituellen Erlebnis, denn wenn man diesen heiligen Berg der Tibetaner betritt, den sie „Die heilige Mutter“ nennen, entsteht eine so tiefe Verbundenheit mit der Natur, dass alle mondänen alltäglichen Ablenkungen hinter einem zurückbleiben.
Wenn man das liest, könnte man denken, das ist der perfekte Ort, um sich von allem zu lösen, sich für die Dauer dieses Abenteuers auszuklinken, abzuschalten und sich digital zu entgiften. Aber das stimmt nicht ganz. Im südlichen Basislager sind die dort angebotenen WLAN-Pakete so leicht zu kriegen wie in jedem Internetcafé überall auf der Welt. Dank dem nepalesischen Unternehmer Tsering Gyaltsen Sherpa gibt es im Basislager schon seit 2014 WLAN.
In jedem Frühjahr füllt sich das Lager mit Wanderern und Bergsteigern aus der ganzen Welt, die sich hier nach einem langen Trek erholen oder die (sollten sie die notwendige Genehmigung von der tibetanischen Regierung erhalten haben) sich hier auf den Aufstieg bis hoch zum Gipfel vorbereiten wollen. Schon der Weg bis zum Lager ist mit hohen Kosten verbunden – die typische Tour mit einem Reiseveranstalter kostet mehrere tausend Dollar. Die paar Glücklichen allerdings, denen man die Genehmigung ausgestellt hat, den vollen Aufstieg anzugehen, haben bis zu 100‘000 $ für dieses Privileg gezahlt. In diesem Preis sind die Kosten für die Genehmigung, die Sherpa, alle Ausrüstungsgegenstände sowie das notwendige Training enthalten. Wir haben es hier mit Menschen zu tun, die sich auf den Trip ihres Lebens gemacht haben und für viele von ihnen ist die Vorstellung, all das nicht auf ihrem Telefon festhalten zu können schier undenkbar.
Einerseits ist es erstaunlich, sich Menschen vorzustellen, die auf ihr Fon sehen, während sie gleichzeitig von einer derart überwältigenden Landschaft umgeben sind. Sollten sich die Menschen nicht überhaupt lieber hundertprozentig auf ihre Umgebung konzentrieren und ihre Telefone daheimlassen, damit ihnen auch bestimmt nichts entgeht? Trübt das Vorhandensein dieser Technologie nicht den Zauber eines so spektakulären Orts?
Andererseits hat der Zugriff auf das WLAN beiden, sowohl Sherpas wie Abenteurern viele Vorteile gebracht. Man könnte sagen, es gibt eine Vielzahl von praktischen Gründen, warum es sogar sicherer ist, online zu sein. Zum Beispiel können Bergsteiger über ihre Telefone Warnungen im Falle von drohenden Lawinen oder Schlechtwetterfronten bekommen und ihre Routen entsprechend ändern. Sie können um Hilfe rufen, sie können mit ihren Familien in Verbindung bleiben. Ausserdem ist es oft eine Bedingung für eine gesponserte Tour, die den ganzen Trip überhaupt erst möglich gemacht hat, in der Lage zu sein, diese Reise live zu übertragen.
Wie dem auch sei, viele entscheiden sich dafür, die 5 $ pro Stunde für das WLAN auszugeben und andere tun es nicht. Für Letztere geht es wohl gerade darum, nicht verbunden zu sein, und die Besteigung des Mount Everest bietet ihnen genau diese Freiheit, sich von allem zu lösen und mit der Natur zu verschmelzen.
Welcher der beiden Gruppen Sie auch immer angehören mögen, letztendlich sind es die Elemente, die Ihnen die Entscheidung abnehmen. In Wirklichkeit ist der Empfang da oben im besten Fall durchwachsen, denn die Technik ist weit davon entfernt, die Verlässlichkeit satellitenbasierter Fons zu ersetzen. Doch nehmen wir an, Sie schaffen es tatsächlich bis zum Gipfel, Ihr WLAN funktioniert theoretisch, und Sie wollen auf Instagram ein Foto in Siegerpose posten – seien wir ehrlich, wahrscheinlich klappt es sowieso nicht, man weiss doch von mobilen Telefonen, dass sie in bestimmten Höhen einfrieren.
Es scheint, als würde in der Schlacht zwischen der natürlichen und der technischen Umgebung hoch oben auf dem Everest die „Heilige Mutter“ bestimmen, wie alles funktioniert. Und wir alle wissen ja, wie streng die Mamis sein können, wenn es um die Begrenzung der Bildschirmzeit geht.