Heute ist die Übermittlung von Nachrichten, Meinungen oder Gedanken schnell, gratis und problemlos. Warum also kehren so viele Menschen zurück zur Post im Schneckentempo?
Digitale Kommunikation ist ein fester Bestandteil unseres täglichen Lebens geworden, und man kann sich eine Welt ohne sie kaum mehr vorstellen. Man darf allerdings nicht vergessen, dass wir erst seit den 1990er Jahren auf dieser Schnellstrasse kommunizieren. Wenn wir davor mit jemandem schriftlich in Kontakt treten wollten, blieb uns nichts anderes übrig als sich hinzusetzen und ihnen zu schreiben.
Gezielt, persönlich und durchdacht – einen Brief oder eine Postkarte zu schreiben, bedarf meist sorgfältiger Überlegungen und manchmal sogar besinnlicher Augenblicke. Häufig fühlt es sich an, als wäre unsere moderne Welt so besessen davon, alles schneller zu tun, dass wir die Fähigkeit zu stillen Betrachtungen verlieren. Aber sind handschriftliche Briefe wirklich eine Sache der Vergangenheit? Sollten bedacht geschriebene Postkarten tatsächlich bereits von einem schnellen Foto auf Instagram und ein paar Hashtags verdrängt worden sein?
Obwohl Technologie uns einander näherbringen kann, besitzt sie gleichzeig auch die Fähigkeit, uns zu isolieren. Diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass viele Menschen auf fortschrittliche Technologien zu Gunsten eher emotionaler, greifbarer Ausdrucksmittel verzichten. Wie die Rückkehr zu den alten Vinyl-Schallplatten so scheint auch die Postkarte und das Schreiben von Briefen im Allgemeinen zu diesem eher nostalgischen Gefühl beizutragen.
Ein Beispiel für dieses Gefühl ist die erstaunlich populäre Initiative des „Postcrossing“, die im Jahr 2005 von Paulo Magalhães ins Leben gerufen wurde. Postcrossing ist ein Austauschprogramm, das Menschen mit Fremden auf der ganzen Welt zusammenführt, mit Leuten, die alle begeistert davon sind, Postkarten zu schreiben. Die Idee ist einfach: Für jede Postkarte, die man jemandem schreibt, erhält man eine von einer anderen Person. Anders jedoch als bei einem Brief, den man einem Freund sendet, kennt man die Person gar nicht, der man via Postcrossing schreibt. Wenn man sich dort anmeldet und sein Profil gestaltet, generiert das System automatisch Adressen, mit denen man dann anfangen kann zu schreiben. Und mit mehr als 800.000 registrierten Mitgliedern aus 206 Ländern auf der ganzen Welt stammen die erhaltenen Postkarten von irgendjemandem an einem beliebigen Punkt der Welt.
Die Kunst des Briefeschreibens mit Programmen wie Postcrossing hat in den letzten paar Jahren durch die Pandemie einen grossen Aufschwung erlebt. Die letzten beiden Jahre waren für zahllose Menschen ausserordentlich schwierig, weil die Umstände sie oft von dem persönlichen Kontakt mit Freunden und Familie getrennt haben. Trotz der Vielzahl der vorhandenen virtuellen Möglichkeiten fühlten sich sehr viele Menschen dennoch vereinsamt und allein gelassen. Und da sie plötzlich über mehr Zeit verfügten, sich kreativen und besinnlichen Tätigkeit zu widmen, begannen viele Menschen wieder mit dem Schreiben. Kampagnen wie ‚From Lockdown with Love‘ oder ‚A Postcard a Day’ erhielten ebenfalls ein grosses Mass an Aufmerksamkeit. Man feiert die Kraft der Postkarte und die Freude, Briefe zu versenden und zu erhalten.
Der Zweck der Postkarte hat sich seit ihrer Geburt vor über hundert Jahren immer wieder verändert, dabei bleibt ihre Zukunft allerdings ungewiss. Wer kann schon sagen, wie lange die Postkarte noch überdauert oder ob sie überhaupt noch ein Teil zukünftiger Generationen sein wird? Im Moment jedenfalls geniesst das Schreiben mit einem Stift auf Papier immer noch eine grosse Anziehungskraft, die von keiner digitalen Nachricht auf einer Online-Plattform übertroffen werden kann.
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postcrossing.com