Vielleicht haben Sie ja schon von den Leuten in Grossbritannien gehört, die in der Silvesternacht ins eiskalte Meer springen. Aber was wäre, wenn einmal die Woche Silvester wäre? Marion Preez ist eine deutsche Landschaftsarchitektin, die im schottischen Edinburgh lebt und jede Woche einmal ins kalte Wasser springt – selbst wenn das Meer von einer 10 cm dicken Eisschicht bedeckt ist.
OPEN: Wann hast du mit Kaltwasserschwimmen begonnen, Marion?
MARION PREEZ: Ich habe am ersten November vor drei Jahren damit angefangen. Darauf gekommen bin ich durch eine Freundin, ebenfalls eine Ostdeutsche, die wirklich darauf schwört. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, im Winter jeden Tag eine andere Frau zum Schwimmen mitzunehmen und so lud sie mich ein mitzukommen.
Und, wie war’s beim ersten Mal?
In Schottland ist das Wasser im September am wärmsten, früher war ich auch schon mal im Oktober schwimmen gegangen. Aber das erste Mal mit meiner Freundin war im November, also ziemlich spät und kalt. Ich glaube, je kälter das Wasser ist, desto grösser ist auch der Kick, den du spürst: mehr Endorphine, mehr Emotionen und dieses Gefühl von „Oh mein Gott, ich habe es echt gemacht“. Das ist ein tolles Gefühl. An diesem grauen Novembertag erlebte ich zum ersten Mal die volle Wirkung – und seitdem bin ich einfach süchtig danach.
Hast du eine bestimmte Ausrüstung dabei oder springst du einfach ins Wasser?
Unter den Wildschwimmern gibt es zwei Lager: Leute, die Neoprenanzüge tragen, und Leute, die einfach nur Badeanzüge tragen, so wie ich. Im ersten Jahr hatte ich noch ein Paar Neoprenschuhe an, um die Füsse zu schützen. Aber ich habe sie irgendwann verloren. Manche Leute tragen auch Handschuhe, ich nur meinen zweiteiligen Badeanzug.
Wo schwimmst du?
Nicht weit, von wo ich wohne. Es sind so 20 Minuten mit dem Fahrrad oder dem Auto zum Firth of Forth in der Nordsee oder etwa 20 Minuten in die andere Richtung zu einem Stausee. Das ist nah genug, damit ich mindestens einmal pro Woche schwimmen gehen kann – das ganze Jahr über.
Und du gibst dir wirklich auch Dezemberschwimmen?
Ja klar, aber ich schwimme natürlich keine Bahnen. Wie die meisten Wildschwimmer will ich einfach nur eintauchen. Im Winter bleibe ich nicht länger als etwa 5 Minuten im Wasser. Und normalerweise tauche ich auch nicht mit dem Kopf unter, weil man dann Hirnfrost bekommt, einen Eiskopf.
Hört sich kalt an. Gibt es andere Gefahren?
Im Firth of Forth gibt es Wellen, Strömungen und Gezeiten, du musst also richtig gut schwimmen können. Das Schwimmen ist im Winter viel anstrengender, weil dein Körper versucht, den Rumpf zu schützen und zu wärmen, indem er das Blut dorthin leitet. Das bedeutet, dass deine Hände und Füsse automatisch ziemlich kalt werden und Schwimmen echt schwer werden kann.
Gibt es irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen, die du beachtest?
Wichtig ist, dass du deine Kleidung so ablegst, dass du dich danach so schnell wie möglich anziehen kannst. Wenn du aus dem Wasser kommst, hast du bei -2 °C oder -3 °C Lufttemperatur nur 10 Minuten Zeit, bevor die Körpertemperatur richtig in den Keller fällt. Manchmal nehme ich eine Wärmflasche mit und stelle mich darauf. Im Winter habe ich auch eine Teekanne aus Metall dabei, damit ich die Wärme spüren kann. Und wenn ich allein ins Meer gehe, sage ich meinem Mann vorher Bescheid.
Was ist die extremste Erfahrung, die du gemacht hast?
Ich wollte schon immer im Eis schwimmen, hatte aber bis zum letzten Winter keine Gelegenheit dazu. Irgendwann bin ich dann raus und konnte sehen, dass sich eine circa 10 cm dicke Eisschicht gebildet hatte. Ich konnte nur ins Wasser steigen, weil jemand Stunden zuvor mit einer Axt ein Loch in das Eis gehauen hatte. Aber als ich bei Sonnenuntergang ankam, war das Eis schon wieder zugefroren, wenn auch nicht sehr dick. Und weil ich meine Axt vergessen hatte, erwies sich meine Metall- Thermoskanne als praktisch, um das Loch wieder aufzuschlagen und hineinzusteigen.
Was gefällt dir am meisten am Kaltwasserschwimmen?
Naja, du kannst dir denken, wenn man in Schottland lebt, bekommt man nicht so richtig viel Wärme ab. Die Winter sind lang, dunkel und regnerisch. Nach ein paar Jahren hatte ich den Eindruck, dass die Winter immer noch härter wurden. Aber seit ich jetzt im Winter schwimmen gehe, hat sich das total geändert. Du erlebst auch die Natur ganz anders. Beim Schwimmen gibt es nur dich und das Wasser drum rum.
Hat sich deine Toleranz gegenüber Kälte eigentlich erhöht?
Ja, ich glaube, ich bin deutlich widerstandsfähiger geworden. Ich habe zum Beispiel aufgehört, im Winter normale Handschuhe zu tragen, und ich trage auch keine Mütze mehr. Und wenn ich in meinen Garten gehe, gehe ich barfuss, auch im Winter. Das ist wunderbar.
Ist das für dich eine Art Therapie?
Schwer zu sagen, es gibt ja Leute, die meinen, dass es das Immunsystem stärkt. Kann ich so nicht bestätigen, ich hatte leider trotzdem Covid und leide immer noch am Long Covid-Syndrom – das Winterschwimmen hat mich davor nicht bewahren können. Aber dennoch denke ich, dass du dich glücklicher und positiver fühlst, wenn du draussen und mit der Natur verbunden bist. Und wenn ich an mein Long Covid denke, hat das Wildschwimmen mir sicherlich bei den körperlichen Schmerzen geholfen.
Gibt es so etwas wie eine Subkultur bei den Ganzjahresschwimmern?
Ja, und der Kreis der Anhänger hat sich durch den Lockdown enorm erhöht. Als ich anfing, machten das nur seriöse Sportler. Aber als dann die Schwimmbäder geschlossen wurden, haben viele Leute mit dem Wildschwimmen angefangen. Ich mache sogar bei einer Facebook- Gruppe mit, Wild Swimming Scotland – die Leute schwimmen überall.
Kannst du dir vorstellen, je wieder damit aufzuhören?
Nie! Ich bin inzwischen süchtig nach kaltem Wasser. Du solltest das auch mal versuchen!