Wenn wir wirklich weniger wollen, um am Ende mehr von allem zu haben, werden Marie Kondos Aufräumaktionen und ein Tiny House kaum reichen. Das einzige, was wirklich helfen könnte, ist eine ebenso radikale wie wunderbar entspannende Entscheidungsdiät: Weniger entscheiden, um besser zu Leben.
Die Entscheidung ist der am meisten unterschätzte Risikofaktor in unserem Leben – genauer, Mehrzahl, die Entscheidungen. Denn die Fähigkeit, Dinge zu entscheiden, ist eine knappe Ressource. Um sparsam mit ihr umzugehen, reduzieren Menschen, die über viele und wichtige Dinge befinden müssen, bewusst die Anzahl der zu treffenden Entscheidungen. Zum Beispiel bei der Kleidung. Das ist der Grund, warum man Mark Zuckerberg immer im gleichen grauen T-Shirt sieht und Steve Jobs immer einen schwarzen Rolli trug. Auch der ehemalige US-Präsident Obama hat, als er noch im Amt war, seine Garderobe bewusst reduziert. Der Vanity Fair sagte er: “Ich versuche Entscheidungen zu minimieren. Ich möchte nicht entscheiden, was ich esse oder trage. Weil ich zu viele andere Entscheidungen treffen muss.” Diese Menschen entrümpeln, was an Entscheidungen unwichtig ist, um Platz zu schaffen für das, was wirklich zählt. Das ist die räumliche, die Marie-Kondo-Dimension der Entscheidungsdiät. Die andere ist die Zeit. Sie gilt es immer im Auge zu behalten.
Jeder Verkäufer weiss, dass es nachmittags leichter ist, mich zum Kauf eines grösseren Hauses, eines überflüssigen T-Shirts oder viel zu grosser Schuhe zu bewegen, die ich nie wieder tragen werde. Denn genauso wie es einen Welterschöpfungstag gibt, an dem wir alle für dieses eine Jahr verfügbaren Ressourcen aufgebraucht haben, hat jeder von uns seine individuelle Decision Overshoot Hour, an dem die Entscheidungsbatterie leer ist. Aber wir machen trotzdem weiter. Ein verantwortungsbewusster CEO wird nach 16.00 Uhr keine umfassenden Restrukturierungsmassnahmen mehr beschliessen. Wir alle sollten Trennungen, Kündigungen und Heiratsanträge auf den nächsten Morgen verschieben. Und am besten machen wir dasselbe mit politischen Wahlen, denn vielleicht sähe die Welt heute anders aus, gäbe es eine Art UN Mandat für Early votes better!
Schliesslich ist da noch die physische Dimension der Entscheidung: Denn selbst die weisesten Menschen, meint der Psychologe Roy Baumeister, sollten keine Entscheidungen treffen, wenn sie nicht ausgeschlafen sind oder ihr Blutzuckerspiegel niedrig ist. „Die besten Entscheidungsträger“, schreibt Baumeister, „sind diejenigen, die wissen, wann sie sich selbst nicht vertrauen können.“ Bei acht Milliarden Menschen, von denen jeder täglich tausende Dinge zu entscheiden hat, brauchen wir mehr von diesen „besten Entscheidungsträgern“. Decision Fatigue hat globale Konsequenzen. Wir sollten lernen, entsprechend zu handeln – und alles Wichtige auf morgen nach dem Frühstück zu verschieben: Mañana, Mañana, um mit der Was-du-heute-kannst-besorgen-Mentalität unserer Eltern endlich gründlich aufzuräumen.
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Do you suffer from Decision Fatigue?, New York Times Magazin, August 23, 2011.