Stärker denn je lässt uns die Sorge um unsere Gesundheit unsere alltäglichen, gewohnten (Hand-)Bewegungen bewusst werden: Hände schütteln, sich zur Begrüssung küssen, unser Gesicht, unsere Augen oder unseren Mund berühren. Zum Teil handelt es sich dabei um unbewusste Angewohnheiten, während andere Gesten kleine Rituale sind, die wir uns im Laufe des Lebens angeeignet oder angewöhnt haben – seit Generationen.
Solche rituellen Gesten kennzeichnen auch die handwerklichen Berufe: Schaut man den Alpage-Käserinnen und -käsern im Waadtland in der Schweiz bei der Ausübung ihres Handwerks zu, ist man fasziniert von dem Tanz ihrer Hände und Bewegungen, die seit Jahrhunderten praktiziert und perfektioniert werden.
Es beginnt mit dem Melken der Kühe, die sich hoch oben auf der Alp von Sommergräsern und Wildblumen ernähren. Mit jedem gekonnten Zug an den Eutern füllt sich langsam der Eimer.
Oft arbeiten zwei Käser*innen zusammen, ein Mann und eine Frau. Die Hände der Frau schüren das Feuer, das den massiven Kupferkessel erwärmt, in den die Milch gegossen wird. Durch Zugabe von Lab, einem natürlichen milchverkäsenden Enzym aus der Magenschleimhaut von Kühen, beginnt die Milch zu Käsebruch zu gerinnen. Dann taucht der Ehemann ein grosses quadratisches Leinentuch in die gerinnende Milch, zieht es über den Kesselboden und schliesslich an den Kesselseiten wieder vorsichtig nach oben, um den Käsebruch in einem Netz zu sammeln.
An einer an der Decke befestigten Schiene führt die Frau einen Flaschenzug mit Haken direkt über den Kessel, während der Mann die Ränder des Käsetuchs in seinen Händen zusammenführt und das Tuch dann in den Flaschenzug einhakt. Mit ihren beiden Händen fest am Seil beginnt die Frau, das Tuchbündel in die Luft zu heben, damit die Molke durch die Poren ablaufen kann. Der Mann hält mit einer Hand das Tuchbündel am Haken fest, während er mit seinem anderen schlanken, muskulösen Arm jedes Mal das Seil stabilisiert, wenn seine Frau daran zieht.
Das grosse, tropfende Bündel, das aus der schwappenden, dampfenden Molke gehoben wurde, wird jetzt an der Schiene entlang zu einem grossen Holzarbeitstisch gezogen, wo bereits eine grosse Käseform bereitsteht, um es aufzunehmen. Nun beginnt der Mann zu arbeiten – knetend, tätschelnd, drückend, quetschend, kneifend, wringend tanzen seine Hände um die vibrierende Masse, während das Tuch immer enger gedreht wird und die Molke herausläuft und sich in einer in den Arbeitstisch eingelassenen Rinne sammelt und abläuft.
Wenn genug Flüssigkeit abgetropft ist, sieht die Form wie ein aufgegangener Brotlaib vor dem Backen aus. Dann bedeckt der Mann die Form mit einem grossen Holzrad, legt zusätzlich eine schwere x-förmige Metallstrebe auf und senkt kurbelnd einen Stahlkolben nach unten: Druck baut sich auf, bei jeder Drehung läuft Molke heraus. Nachdem er diese Bewegung an jeder Seite des Käselaibs ausgeführt hat, lässt er ihn stundenlang ruhen, bevor der Käse seinen Reifeprozess beginnt.
Nichts an diesen Bewegungen ist improvisiert. Diese Tradition ist nicht an einem Tag entstanden. Deshalb ist sie es wert, gefeiert zu werden, wie es in vielen Kleinstädten in der ganzen Schweiz mit Umzügen und Paraden jedes Jahr an den Tagen geschieht, an denen sich die Kuhställe öffnen und das Vieh auf die Alp geführt wird.
Feuer schüren, melken, Le Gruyère d’Alpage herstellen: Die (Hand-)Bewegungen, die dahinter stecken, sind 1500 m über dem Genfersee auch heute noch sehr lebendig.
➝ OPEN NOTE
Wenn Sie einige der Traditionshüter erleben möchten, die den Alpage-Käse herstellen, besuchen Sie die Fromagerie de Jaman im Schweizer Waadtland und probieren Sie deren köstlichen Gruyère.