Falls Sie in letzter Zeit in den Bergen wandern waren, haben Sie sie vielleicht schon einmal gesehen: Steine, die zu Türmen gestapelt wurden und als Steinmänner bezeichnet werden. Schon seit der so passend benannten Steinzeit errichten Menschen solche Steinmänner am Straßen- oder Wegrand als Wegweiser, Gedenkstätten oder um auf Gefahren aufmerksam zu machen.
Bereits die Kelten bauten solche Steinhügel als Wegmarkierungen und Grabstätten und bezeichneten sie als Cairns. Die Wikinger errichteten Steinstapel entlang der finnischen Küste, da es dort keine Leuchttürme gab, und auf ihren Erkundungstouren ins Landesinnere Islands, um Wegmarken zu setzen. Auf dem amerikanischen Kontinent wurden Steintürme verwendet, um Gassen anzulegen, durch welche Tiere in Massenjagden über eine Klippe getrieben wurden. Viele unserer alten Steinstapel haben Jahrtausende überdauert und sind heute gesetzlich geschützt.
Moderne Steinmännchen sind jedoch eine ganz andere Geschichte und wie viele moderne Formen der Kunst oder Kommunikation schaffen sie Kontroversen. Viele meinen, dass Wanderer, die echten steinernen Wegmarkierungen folgen, durch die kleinen Steinhügel in die Irre geführt und in Gefahr gebracht werden könnten. Kritiker führen außerdem an, dass die Steintürmchen das Landschaftsbild stören und auf bestehenden Pfaden durch das Entfernen von Steinen die Erosion gefördert wird. Sie werden oft mit Graffitis verglichen und einige der Kritiker gehen sogar so weit zu sagen, dass es die Pflicht eines jeden Wanderers sei, diese umzuwerfen.
Diese Argumente mögen zwar aus Sicht des Umweltschutzes begründet sein, sie scheinen jedoch nicht darauf einzugehen, warum die Menschen überhaupt solche Türme bauen. Viele Kritiker der modernen Steinmänner berufen sich auf die ethischen Prinzipien der Leave-No-Trace-Bewegung. Bei einem Steinmann geht es jedoch gerade um das Gegenteil: Man möchte eine Spur hinterlassen. Es soll eine Verbindung zur Landschaft geschaffen werden, um sagen zu können: Hier war schon einmal jemand, hat hier geforscht und hat alles hier schon einmal gesehen. Diese sehr menschliche Verbindung ist auch in einigen Sprachen vorhanden. Ähnlich wie im Deutschen werden auch im Italienischen Steintürmchen ometto, kleiner Mann, genannt.
Stein ist für seine Härte, Beständigkeit und Unempfindlichkeit bekannt. Bei den Steinmännern geht es darum, sich genau diese Eigenschaften nutzbar zu machen und den Stein, dieses schwer zu bearbeitende Material, zu formen, um dadurch zu kommunizieren. Im Englischen heißt es silent as a stone, schweigsam wie ein Stein. Diese Steine Sprechen jedoch. Die Steine übermittelten schon Botschaften, lange bevor das Schreiben erfunden wurde und unsere Vorfahren begannen ihre Inventarlisten, Grabinschriften oder Gebote in sie zu ritzen.
Und obwohl der Drang, Steinmänner zu errichten, schon so alt ist wie die Berge selbst – oder zumindest so alt wie die menschliche Natur –, scheinen unsere modernen Steinmänner auch eine eindeutig moderne Botschaft zu vermitteln. Die Wanderer bringen die Steine, wenn Sie sie zu Steinmännchen aufstapeln, in ein empfindliches Gleichgewicht, so dass die Türmchen, wie es scheint, bei jedem Windstoß, Regenschauer oder Schneegestöber ins Tal zu kullern drohen. Es ist ein fragiles und zugleich dauerhaftes Gleichgewicht angesichts des Klimawandels, wenn selbst die Alpen erodieren und wir uns unserer prekären Situation auf der Erde immer bewusster werden.
Wir hören die Warnungen der Parkwächter und Umweltschützer und versuchen uns zu zügeln, aber das Stapeln von Steinen – das Kommunizieren mithilfe von Steinen – ist eine unserer grundlegendsten und menschlichsten Arten der Kommunikation.