Wo ist mein Topf, Paul?

Julia Child schaffte es in den sechziger Jahren, eine ganze Nation zu französischer Zwiebelsuppe zu bekehren. Mit ein Grund dafür, dass die Küche dieser amerikanischen Kochikone heute im Nationalmuseum in Washington im selben Flügel steht wie die Rakete der Apollo 13. Beides riskante, aber letztlich geglückte Missionen.

Childs Original-Küche wirkt heute wie aus der Zeit gefallen, denn sie kommt ohne all die glatten, kalten Metall- oder Steinoberflächen aus und versucht gar nicht erst, die beeindruckende Menge von Töpfen, Pfannen und Geräten hinter griff- und fugenlosen Oberflächen verschwinden zu lassen. Ganz im Gegenteil: In dieser für sie massgefertigten Küche ist alles sichtbar und zugleich perfekt organisiert. Der Ort zeigt stolz, was er ist: Ein Ort zum Kochen und zum Essen.

Es war Paul Child, Julias Ehemann, ein Diplomat, der für seine Frau ein ausgefeiltes System entwarf, in dem jedes der Koch-Utensilien seinen festen Platz hatte. Er schnitt handelsübliche Stecktafeln zurecht, um anschliessend den Umriss jedes Topfs mit einem Marker auf die Tafel zu zeichnen, damit er nach Gebrauch sofort wieder seinen angestammten Platz fand. Gut sichtbar und schnell zur Hand, so musste Julia nicht lange suchen, wenn sie ihn wieder brauchte.

Weil diese Küche so ganz anders ist als die, die wir in Lifestyle-Zeitschriften sehen, nämlich Küchen, die nicht wollen, dass man ihnen ansieht, dass sie Küchen sind, haben die Architektin Pamela Heyne und Julia Childs Food-Fotograf, Jim Scherer, die Küchen der Childs in einem wunderbaren Buch dokumentiert. Am Anfang steht ein Brief von Child an Heyne, in dem sie schrieb, Architekten würden nichts von Küchen verstehen. Das so entstandene Buch ist eine Entdeckungsreise mit offenem Ausgang in eine geordnete Küchenwelt, in der die grosse Lust zu kochen, nur noch von der spürbaren Vorfreude übertroffen wird, dass Gekochte gemeinsam mit Freunden am grossen Esstisch in der Mitte der Küche geniessen zu dürfen. Denn am Ende sei das, so Child, das wirkliche Ziel grosser Kochkunst.

OPEN READ
Pamela Heyne, Jim Scherer: In Julia’s Kitchen, Practical and Convivial Kitchen Design inspired by Julia Child, 2016.
Julia Childs Klassiker “Mastering the Art of French Cusine” aus dem Jahr 1961 ist jetzt erstmals auf Deutsch unter dem Titel “Französisch kochen im Schweizer Echtzeitverlag” erschienen.

Photo credits: Rick Friedman, Getty Image

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