Was hätten Denker wie Wittgenstein oder Maler wie Kandinsky oder Klee von Pantones Farbe des Jahres gehalten?
Sie hätten sicher nicht nur einer bloßen Ahnung vertraut, um einen Trend zu setzen: Sie hätten die Tiefen des Internets auf der Suche nach Beweisen durchpflügt. Nach Finden eines möglichen Trends hätten sie mit den unendlichen Möglichkeiten der Gegenüberstellung experimentiert. Umgebung, Material, Zeremoniell, Gefühl. Letztlich hätten sie sich gefragt: Aber ist diese Tasse wirklich violett? Oder bin ich so bereit für eine neue Galaxie, dass ich sie einfach violett oder gar ultraviolett sehe? Und wie werden wir jedermann erklären, dass die Tasse violett ist? Ausgehend von der Ästhetik wären sie über ein politisches Problem gestolpert: Konsens und Dissens. Heben Sie Ihre Hand, wenn Sie denken, die Tasse sei violett. Der Streit wäre bald zu einem Handgemenge geworden, bis Goethe von den Toten auferstanden wäre, um das heikle Thema ein für alle Mal zu klären. Er wäre aufgestanden und hätte bissig verkündet: „Licht erscheint gelb, wenn man es durch ein trübes Medium sieht; Dunkelheit erscheint blau durch ein beleuchtetes Medium. Wir müssen beide lieben, das Transparente und das Trübe.“ Das zur Verkündung von Pantones Farbe des Jahres versammelte Publikum wäre geschlossen hinaus in die Straßen geströmt – gelangweilt und verwirrt.
Und dennoch hätte der gute alte Goethe mit der typischen Voraussicht eines Propheten vorherbestimmt, welche Pantones Farbe des Jahres 2018 sein würde. Transparent und trübe, meditativ und belebend. Das ist Ultraviolett 18-3838, die Farbe, die Pantone letzten Dezember zum Manifest des Hier und Jetzt erklärt hatte. Komplex und besinnlich, in der Lage die Mysterien des Kosmos heraufzubeschwören und Identität zu stiften, und gleichzeitig angelsächsisch genug, um U2 und David Bowie wieder zusammen zu bringen: Ultraviolett sieht in eine Zukunft der Versöhnung, in der man ganz selbstverständlich die Unterschiede von blau und rot miteinander verbindet. Eine komplexe, flüssige und mystische Farbe, die geschaffen wurde, um denjenigen Stabilität zu bieten, die wissentlich danach suchen, und geeignet für solche, die, nachdem sie den unzähligen Bildschirmen unseres täglichen Lebens ausgesetzt waren, eine meditative Zuflucht suchen. Daher verbindet sie die Sinne, bevor der Sinn überhaupt in Betracht gezogen wurde.
All das hat seinen Ursprung in der Frage, die das Pantone Color Institute jedes Jahr beschäftigt: Was wird in unserer Welt heute gebraucht? “Da die Menschen auf der ganzen Welt immer mehr Faszination für Farben aufbringen und sie sich der Fähigkeit der Farben, tiefgründige Botschaften und Inhalte zu vermitteln, bewusst werden, sollten sich Designer und Marken darin bestätigt fühlen, Farben zu verwenden, die inspirieren und beeinflussen“, erklärt Laurie Pressman, Vizepräsidentin des Pantone Color Institute. Und das ist im Grunde das Herzstück von dem, was wir Design nennen: die Fähigkeit Farben und Formen zu verwenden, um den starken Emotionen des Zeitalters, in dem wir leben, Ausdruck zu verleihen.
Fotos von:
Kai Oberhauser – Ultraviolet Alps
Dana Edelson – Ultraviolet U2
Octavian Rosca – Ultraviolet jellyfish
Sandro Katalina – Ultraviolet lights architecture