Der zeitgenössische Philosoph Byung-Chul Han ist der Ansicht, dass sich das Gefüge unserer Aufmerksamkeit grundlegend verändert hat.
Unaufhörlich strömen Eindrücke, Informationsquellen und Aufgaben jeglicher Art auf uns ein: Mit unserer Aufmerksamkeit müssen wir schnell auf diese ständigen Fokusveränderungen reagieren. Ist die digitale Welt daran Schuld? Unsere Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit? Eine Sache ist gewiss: Die Verwendung neuer Technologie macht jede Aktivität, die unsere echte Konzentration erfordert, zu einer anstrengenden Angelegenheit. Byung-Chul Han nennt diese Art der Konzentration gerne „kontemplative Vertiefung” und behauptet, dass sie die Grundlage jeder kulturellen und produktiven Aktivität ist.
Es besteht kein Mangel an Vorschlägen für eine digitale „Entgiftung“: keine Smartphones auf dem Tisch, eingegangene Nachrichten nicht direkt nach dem Aufwachen checken, sich zum Beantworten einer E-Mail Zeit nehmen, die verbrachte Zeit in sozialen Medien mit Hilfe spezieller Apps begrenzen usw. Das alles sind Hilfsmittel für den Alltag, die uns langfristig dabei unterstützen können, das richtige Maß zu finden und uns selbst vor der konstanten Kommunikationsbombardierung zu schützen, der wir ausgesetzt sind. Das heißt aber auch, dass wir nicht zu Extremmaßnahmen wie etwa einer Rückkehr zu unserem treuen Nokia greifen oder auf eine Reihe von unbestreitbaren Vorteilen verzichten müssen.
Wenn wir feststellen, dass wir nicht mehr in der Lage sind, Prioritäten zu setzen oder ein Gespräch in Ruhe zu Ende zu führen, ist das nicht allein unserem eigenen Verschulden zuzuschreiben. Aber wir können selbst entscheiden, wie wir die Hilfsmittel verwenden, die uns die Gesellschaft zur Verfügung stellt. Ein elementarer Bestandteil dieses Bestrebens, verlorene eigene Zeit zurückzuerobern, ist das Schreiben mit der Hand, weil es uns zum Innehalten zwingt. Denn mit der Hand schreiben bedeutet: beobachten, unsere Gedanken ordnen und sie deutlich zum Ausdruck bringen, um eine Botschaft zu übermitteln.
Schreiben mit der Hand sollte ein selbstverständlicher Aspekt jeder Digital-Detox-Maßnahme werden. Es trainiert uns, mit unserer Aufmerksamkeit genau dort zu bleiben, wo wir gerade sein wollen und uns auf jeweils ein Argument zu konzentrieren. Das Schreiben mit der Hand zwingt unser Gehirn ganz konkret, sich auf die Ausdrucksbewegung zu konzentrieren, und hilft ihm zu lernen. Beim Notizenmachen mit Stift und Papier, so das Ergebnis verschiedener Studien, wird unser Gedächtnis trainiert und unsere Intelligenz angeregt. Neben der ‘mentalen Beschäftigung’ erfordert das Schreiben mit der Hand auch eine konkrete physische Handlung der Neuausrichtung. Wir suchen Unterstützung durch einen Tisch, einen Stuhl und möglichst einen ruhigen Ort. Wenn wir dann den Stift aufnehmen und den Fluss der eigenen Gedanken durch den Akt des Schreibens begleiten, schaffen wir uns einen Weg, uns etwas Zeit (und Raum) zu gönnen. Gleichzeitig leisten wir einen kleinen Widerstand und bewahren unsere Fähigkeit zur tiefen Konzentration, die von der (durch uns geschaffenen) Gesellschaft Tag für Tag erheblichen Belastungen ausgesetzt ist.