Japaner heiraten gern in der Disney World Tokio, aber wenn sie es sich leisten können, fahren sie nach Disney World Florida. Einfach weil es dort echter ist.
Das Xerox-Prinzip des Wirklichen schafft Kopien von Kopien, die sich wie eine Fährte zurückverfolgen lassen. In Vororten von Peking können Sie wählen, ob Sie im Quartier Latin, Trastevere oder München leben wollen. Dabei verschwimmt leicht der Blick auf das, was man gemeinhin als Original bezeichnet. Nicht wenige Touristen und nicht nur aus Übersee sind enttäuscht, wenn sie Neuschwanstein, das Schloss aller Schlösser, zum ersten Mal im Original sehen, denn das ist nicht ganz so traumhaft, wie seine von aller Schwerkraft befreite Kopie auf der anderen Seite des Atlantiks. Dank Hollywood haben wir ziemlich klare Vorstellungen davon, wie Prinzessinnen und andere Märchenhelden zu leben haben, und König Ludwig, der Neuschwanstein erbauen liess, wäre wahrscheinlich der Erste gewesen, der das besser als jeder andere verstanden hätte.
Wer sich hier auf eine vermeintlich überlegene europäische Kultursensibilität beruft, rennt blind in die Authentizitätsfalle. Denn das Authentische liegt im Auge des Betrachters, und nur dort.
Denken Sie an Venedig. Wunderschön wie sie ist, die Stadt, spielt das wahre Leben längst am anderen Ende der Lagune, in Mestre. Aber wer will da schon hin? Das, was wir als Original erleben, ist zum Themenpark geworden, der durch Kunstbiennalen, Karnevals und Kreuzfahrtschiffe am Leben gehalten wird. Aber das ist uns egal, wir lieben Venedig. Wir steigen auf den Campanile auf der Piazza San Marco und spüren den Hauch der Geschichte. Dabei ist der Campanile auch nur ein Nachbau, das Original fiel 1902 in sich zusammen und wurde wiederaufgebaut, „originalgetreu“ natürlich, wie der Campanile des Venetian in Las Vegas. Und wieder gibt es Menschen, die den in Vegas oder Macao schöner finden: Den Nachbau eines Nachbaus in einer Stadt, aus der das wirkliche Leben ebenso sehr ausgeschlossen wurde, wie aus der anderen.
Was ist hier Original und was Fälschung? Schwer zu sagen. Deswegen hat der, der stolz von sich behauptet, er sei authentisch, schon verloren. Das wirklich Authentische nennt sich nicht einfach selbst so, es lässt sich erleben, zuschreiben, aber nicht beanspruchen. In der Rhetorik ist das Authentische eine Inszenierung, die mit allen Mitteln der Kunst versucht, ihre Inszeniertheit zu verbergen: „Um authentisch zu wirken, muss der Redner ein Ethos erzeugen, das Unverfälschtheit und Echtheit suggeriert.“ Wohlgemerkt „suggeriert“ – das ist die Kunst.