Der Aufräumer

Zwischen den Entwürfen der Designerlegende Dieter Rams und den Produkten von Apple liegen mehr als 30 Jahre. Originalität nimmt sich manchmal Zeit.

Originalität irritiert uns erstmal. Sie bringt die Welt und die Dinge in einen neuen Zusammenhang – und schafft sich die Objekte, Bilder oder Maschinen, die in diesen Zusammenhang passen. Und weil das so ist, landen Originale nicht selten in Museen, Orte, in denen wir Originalität noch am besten aufgehoben meinen. Allerdings schaffen es einige später dann doch noch in unser Wohnund Arbeitszimmer. Das sind die wirklich revolutionären Originale. Sie haben das seltene Glück, das wir sie nach einer gewissen Quarantäne raus in die Freiheit lassen.

So oder so ähnlich könnte man den Weg der Gestaltungen des deutschen Industriedesigners Dieter Rams aus den 50er bis 80er Jahren bis zu den Produkten von Apple beschreiben. Auch wenn der französische Designer Philippe Starck meinte, die Geräte aus Cupertino seien schlicht Plagiate. Sind sie das wirklich, „Seelenverkäufer“, was „Plagiarius“ im Lateinischen bedeutet? Rams selbst sieht das entspannter. Er sagt, er empfinde die Ähnlichkeit als Kompliment.

Originalität ist ein Pionier. Sie bereitet den Boden für Siedler, die später kommen und erfolgreich Weizen anpflanzen, während Pioniere noch viel zu beschäftigt damit sind, ums Überleben zu kämpfen – oder sich wie Rams auf Vernissagen von Kuratoren und Designern feiern lassen. Dass Rams’ Entwürfe in den sechziger Jahren im New Yorker MoMA gewürdigt wurden, hat die Marke Braun zwar zum Mythos gemacht, kommerziell blieb der grosse Erfolg allerdings aus. Nur wenige konnten sich 1956 für das heute ikonisch schlichte und zeitlose Design der Radio-Phono-Kombination SK 4, den Schneewitchensarg von Braun, begeistern, den Rams zusammen mit Hans Gugelot entwarf.

Der Designer Rams will so wenig Design wie möglich – und so viel intuitive Klarheit wie machbar: „Design muss selbsterklärend sein. Design ist ganz wesentlich davon bestimmt, dass es Dinge erklärt, ohne dass man lange eine Gebrauchsanleitung lesen muss.“ Der Ausgangspunkt seiner Arbeit war, „Ordnung zu schaffen, das Chaos zu eliminieren, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.“ Das bedeutet, zunächst in die Tiefe zu gehe und sich erst dann um die ästhetische Oberfläche zu kümmern: Es verlangt, ein Produkt soweit zu Ende zu denken, dass man dem Nutzer keine ungelösten Probleme als Fragen hinterlässt, um sie dann in langen Gebrauchsanweisungen beantworten zu müssen.

Nicht nur Steve Jobs hat diese Haltung sehr geschätzt. Er machte das Think Different! der von Rams gestalteten Radios, Uhren, Feuerzeuge, Entsafter oder Regale zum Kern seiner Unternehmensphilosophie und damit zur Basis des globalen Erfolgs von Apple. Jonathan Ive, Chefdesigner von Apple, schrieb in einem persönlichen Brief an Rams, wie sehr ihn seine Arbeit beeinflusst habe. Auf Einladung von Ive besuchte Rams die Apple-Zentrale im Silicon Valley: „Ich konnte mir nicht verkneifen zu sagen: I’m feeling at home’“. Wie Ive bei Apple war auch Rams bei Braun nicht nur Designchef, sondern Mitglied der Geschäftsleitung, weil sich wahrscheinlich nur so eine klare Haltung im Produktdesign auf allen Unternehmensebenen durchsetzen lässt.

Apple hat das System Rams bis ins Detail verstanden und auf seine eigene Welt projiziert. Warum es bei Apple auch kommerziell funktionierte? Weil der Ansatz auf eine technische Produktwelt traf, die so komplex und vollständig anders war, als alles, was wir kannten, dass wir die intuitive Nutzung als ungeheuren Vorteil empfanden.

Die Bilder, die der Fotograph Ramak Fazel vom Haus Dieter Rams’ gemacht hat, zeigen wie sehr seine Haltung auch in seiner privaten Welt spürbar ist. Sie ist so, wie Rams sich die ganze Welt wünschen würde: Aufgeräumt, klar und orientiert an Bedürfnissen. Sie zeigen, wie Rams mit den Dingen lebt, die er selbst gestaltet hat, wie aktuell sie wirken, obwohl viele aus den sechziger und siebziger Jahren stammen.

Dieter Rams, 85, ist die Ikone des Industriedesigns. Von 1955 bis 1997 war er für das Produktdesign von Braun verantwortlich. Seine Entwürfe beeinflussen noch heute Kreative weltweit. Am 25. Mai dieses Jahres feierte er seinen 85. Geburtstag.

Ramak Fazel, 52, lebt als Fotograf in Los Angeles. ramakfazel.com

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Dieter Rams, As little design as possible, with a foreword by Jonathan Ive, Phaidon 2013

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bdieterrams.tumblr.com
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