Wölfe faszinieren Alessandra Monti. Ihre Intelligenz, ihr komplexes Sozial-Leben im Rudel, ihre wilde Kraft. Weil sie selbst erleben will, wie es früher mal war, als Mensch und Wolf respektvoll zusammenlebten, reist sie in abgelegene Regionen dieser Welt, wo das heute noch so ist.
2009 zu den Tsaatan in der Mongolei und im Sommer 2016 zu den Tuwanern in der sibirischen Republik Tuwa.
Die Nomaden leben hier in Zentralasien von und mit ihrer Rentierherde. Sie ziehen mit den domestizierten Wildtieren durch die Taiga, weil hier die Flechten und Moose wachsen, die die Rentiere lieben. Immer eine Familie lebt zusammen, meistens in einem Zelt, und die nächste Familie und das nächste Zelt sind 1-2 Stunden entfernt. Von Zeit zu Zeit brechen sie auf, bauen ihr Zelt ab, weil das Wetter sich ändert, die Tiere unruhig werden, weil sie Lust haben, etwas Anderes zu sehen oder weil der Schamane sagt, es sei jetzt besser weiterzuziehen.
Um bis zu den Nomadenvölkern zu kommen, muss sie Flugzeuge, Busse, Bahnen und Geländewagen nehmen und irgendwann auf ein Pferd umsteigen, um dann, wie in diesem Jahr, 700 km durch die Taiga zu reiten. Sie vertraut sich einem Jäger an, der die Gegend kennt und aus Erfahrung weiss, wo die Familien sich gerade aufhalten …. wahrscheinlich gerade aufhalten, Garantien gibt es ebenso wenig wie ein Telefon.
Auf ihrer ersten Reise in der Mongolei ist Alessandra Gast bei mehreren Familien, immer wird sie freundlich aufgenommen. Dieses Jahr, bei den Tuwanern, bleibt sie vier Wochen bei einer Familie, lebt mit in ihrem Zelt, isst und schläft mit ihnen, gemeinsam gehen sie jagen, melken morgens die Rentiere und sammeln das Brennholz für das Feuer, denn nachts wird es auch im Sommer empfindlich kalt. Acht Monate im Jahr fallen die Temperaturen auf bis zu minus 60 Grad. Manchmal schlachten sie ein Rentier, ein Fest für alle.
Oft hört Alessandra nachts im Zelt die Wölfe heulen, und wenn die Herde unruhig wird, gehen die Erwachsenen gemeinsam raus und verjagen die Wölfe mit Fackeln und Taschenlampen. Aber verjagen ist etwas anderes als jagen.
Wölfe leben hier in derselben Welt wie die Menschen und ihre Herde. Sie bewegen sich im Territorium genauso frei wie die Nomaden. Mensch und Tier teilen sich einen natürlichen Lebensraum. Man sieht die Wölfe sehr selten, sie sind extrem scheu. Dabei sind sie immer präsent, nicht nur in den Gedanken der Nomaden. Man spürt förmlich, dass sie immer irgendwo in der Nähe sind. Doch Mensch und Wolf respektieren einander, und wie der Wolf den Menschen und seine Tiere genau beobachtet, beobachtet der Mensch den Wolf, lernt von ihm, wie er jagt, wie er seine Taktik dem Tier anpasst, das er jagt.
Wölfe sind tief in der Kultur der Nomaden verankert, sie beeinflussen die Art, wie sie denken und leben, ihre Religion und ihre Medizin. Und wenn in einem bekannten Film Kevin Costner mit dem Wolf tanzt, dann deswegen, weil die Ureinwohner Nordamerikas aus dieser Region über die Beringstrasse nach Amerika gekommen sind. Noch heute gleicht die Sprache der Tuwaner den Sprachen der Indianervölker zu 70%.
Nicht nur die Faszination für den Wolf teilt Alessandra Monti mit den Nomaden. Wenn sie erzählt, merkt man, wie wichtig ihr beide sind, Tiere und Menschen. Die Sprache der Nomaden, mit denen sie sich das Zelt und den Alltag teilt, spricht sie nicht, sie verständigt sich mit Gesten. Aber geredet wird ohnehin nicht viel. Am Ende, sagt sie, hatte ich schon das Gefühl, dass wir uns verstehen. Auch ohne viele Worte.
Sie war schon in Ungarn, Tschechien und Norwegen, um Wölfe hautnah zu erleben, sie zu sehen und zu berühren, um ihnen ganz nah zu kommen. Wölfe, die an den Menschen gewöhnt sind. Sie selbst besitzt fünf Tschechoslowakische Wolfshunde, die dem Wolf nicht nur äusserlich noch sehr ähnlich sind, und hat eine Ausbildung, um Hundebesitzern durch Training und Rat zu helfen, wenn sie Probleme mit ihrem Tier haben.
Der Wolf lässt niemanden kalt, sagt Alessandra, er steckt einfach in unserer DNA. Nicht nur in der der Tsaatan, auch in deiner und meiner.
Neben ihrer Tätigkeit als Ausbilderin für Wolfshunde und Expertin für die Interaktion von Mensch und Hund, arbeitet Alessandra Monti als Stylistin und Set Designerin. In der Nähe von Como hat sie ein wunderschönes B&B, das Alpe del Lupo heisst, Wolfsalm.
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Photo credits: Alessandra Monti und Studio CCRZ