Das erste, was wir von einer Marke wahrnehmen, ist ihre Farbe. In wenigen Sekunden wird eine Aussage gemacht, ohne ein Wort zu sagen. Und die Farbe bleibt in Erinnerung. Das macht Markenfarben so wichtig. Ein Gespräch mit dem Schweizer Marketingexperten Eckhard Sohns.
Warum sind so viele Logos blau, Herr Sohns?
Sohns: Lassen Sie mich zurückfragen, wo waren Sie dieses Jahr im Urlaub? In Griechenland. Schauen Sie sich noch einmal Ihre Urlaubsfotos an, Sie werden viel blau sehen. Wahrscheinlich haben Sie oft gedankenverloren am Strand gesessen und entspannt in die unendliche Weite des am Horizont mit dem blauen Himmel verschmelzenden blauen Meers geschaut. Wenn Sie normalerweise das winterliche Grau des Himmels über Mailand oder Berlin gewohnt sind, kommen hier schnell gute Gefühle auf. Wir lieben Blau, weil es uns vertraut ist, Sehnsüchte weckt und in Kontexten vorkommt, in denen es eine positive Bedeutung hat. Damit lässt sich arbeiten, wenn Sie eine Markenidentität entwickeln.
Ist das nicht etwas zu romantisch gedacht?
Blau ist die Farbe der Romantiker! Und das nicht zufällig. Es ist wichtig zu verstehen, woher Blau seine so elementare Wirkung bezieht. Blau ist ein universelles, fast metaphysisches Versprechen, das wir unmittelbar wahrnehmen. Es rührt uns tief an. Sie brauchen den kognitiven Umweg über die mit der Farbe assoziierten Werte gar nicht, um einen positiven Bezug zu entwickeln. Die vielen Bedeutungen, die wir im Laufe der Zeit in eine Farbe projizieren und kulturell kodifizieren, gehen auf diese Erfahrung zurück. Eben weil Sie immer rückführbar auf unser Erleben sind, funktionieren sie, bewusst wie unbewusst.
Welche Werte stecken in der Farbe Blau?
Himmel und Weite bedeuten Ruhe und Entspannung, bedeuten, dass Sie loslassen können. Das ist das Beste, was man mit einer Marke verbinden kann: Harmonie mit sich und der Welt, eine Art Urvertrauen, das Freud nicht zufällig als ozeanisches Gefühl bezeichnet. Sie fühlen sich verstanden, sicher und gut aufgehoben. Ein verlockendes Angebot, besonders in von Zukunftsangst geprägten Zeiten. Kein Zufall übrigens, dass auch die Figur der Maria im christlichen Farbkodex blau konnotiert ist. Für die wahrgenommene Identität eines Unternehmens sind das relevante Faktoren, ganz gleich, in welcher Branche Sie tätig sind. Wobei Sie im Technologie-Sektor esonders viel Blau finden werden, u.a. bei Samsung, HP, Dell und Siemens. Aber auch die UN und die Europäische Union sind aus Überzeugung blau. Und in der DNA von Wikipedia steckt zu Recht ein starkes Blau.
Was ist Blau noch dominant?
Ein anderer Erlebniskontext, in dem wir Farben als Botschaften erleben, ist der Verkehr. Während Rot uns zum Stillstand bringt und Vorsicht einfordert, stehen Blau und Grün für freie Fahrt. Die erhöhte Aufmerksamkeit, die Rot von uns verlangt, und die sich hervorragend für die Markenkommunikation nutzen lässt, hat Blau nicht: Blaue Schilder sagen Ihnen, wo es langgeht und wie Sie Ihr Ziel am besten erreichen.
Warum dominiert Blau gerade in global agierenden Unternehmen?
Eins der eindrücklichsten Fotos des 20. Jahrhunderts zeigt die Erde als blauen Planeten. Dieses Bild steckt in jedem von uns. Mit Blau ist der selbstbewusste Anspruch auf globale Grösse verbunden. Das gilt nicht nur für die schon genannten Marken und Institutionen. Auch so unterschiedliche Unternehmen wie Disney, General Electrics, Intel und Microsoft sowie Automarken wie Volkswagen, Ford und BMW haben Identitäten mit hohem Blau-Anteil. Und natürlich kann Facebook nur blau sein, selbst wenn es der Legende nach der Rot-Grün Sehschwäche von Gründer Zuckerberg zu danken ist, die zur blauen Facebook-Farbe geführt hat.
Im Grunde müssten dann ja alle Marken blau sein.
Wenn Blau schon besetzt ist, werden Sie wahrscheinlich zur Differenzierung eine andere Farbe wählen. Im Ernst: Jede Farbe hat Ihre eigene Verankerung in der Lebenswirklichkeit, ihre spezifischen Werte und Emotionen, die eine Identität farblich ausdrücken. Wenn Sie wie Google offen sind für alles, werden Sie ein Logo wählen, das Vielfalt über Vielfarbigkeit vermittelt.
Selbst Marken, die nicht blau sind, lassen sich heute gern „Blau-Waschen“.
Blue-Washing zeigt, dass nicht jeder, der mit Blau kommuniziert, auch blaue Werte lebt. Die sind sehr anspruchsvoll. Beim Blue-Washing schmücken sich Unternehmen mit dem Blau der Vereinten Nationen, dem vertrauenswürdigen Guten in einer bösen Welt. Aber das Blau bleibt an der Oberfläche, solche Unternehmen treten öffentlichkeitswirksam dem Global Compact der Vereinten Nationen bei, ohne Nachhaltigkeit glaubwürdig zu verankern. Sie versprechen etwas, das sie nicht einlösen. Und das merkt man irgendwann.
Herr Sohns, vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Eckhard Sohns (52) ist Marketingexperte und begleitet mit seinem Büro comunicAzione, Rancate, seit vielen Jahren die Marketingaktivitäten von Prodir.