Aus einer Aluminiumkapsel, die in einer Höhe von 16’000 Metern an einem Wasserstoffballon hängt, sieht man, wie sich der Himmel über Erde unter einem in tiefem Schwarz-Blau wölbt. In einer gepanzerten Tiefseetauchkapsel in einer Tiefe von 11’000 Metern unter dem Meeresspiegel ist alles schwarz. Auf einem solarbetriebenen Flug von 43‘000 Kilometern um die Erde reicht der blaue Ocean bis tief ins unendliche All. Es war kein einzelner Pionier, der all diese Wunder erlebt hat, es war eine Familie: die äusserst erfolgreiche Familie Piccard aus Lausanne in der Schweiz.
Abenteuerlust gepaart mit Wagemut im Namen der Wissenschaft scheinen der Familie im Blut zu liegen. Der 1884 geborene Physiker Auguste Piccard und sein Partner Paul Kipfer waren die ersten Menschen, die in eine Höhe von 16‘000 Metern aufgestiegen sind und das zu einer Zeit, als Passagierflugzeuge vom Typ Ford Trimotor noch in einer Höhe von unter 2‘000 Metern flogen. Sie stiegen hoch in die Stratosphäre auf, um dort die Sonnenstrahlung zu messen, aber letztendlich auch, um die Bestätigung für Einsteins Relativitätstheorie zu liefern. Zusammen mit Kiper und Instrumenten mit einem Gewicht von 200 Kilo in einer Aluminiumkapsel, die von der Form eines Bierfasses inspiriert worden war, erlebten die Beiden diesen dunkelblauen, fast schwarzen Himmel, stopften ein Loch in der Aussenhülle, durch das Sauerstoff entwich, mit Vaseline und Textilfasern und waren gezwungen, Kondensationstropfen zu schlürfen, als die Temperatur in der Kapsel 40 Grad Celsius erreichte. Sie überlebten die Bruchlandung in den schneebedeckten Alpen und taumelten dem Rettungsteam entgegen, das davon überzeugt war, sie hätten diese Landung nicht überlebt.
Der brillante und exzentrische Auguste, war gross, schlaksig und fast kahl, er hatte stets einen Rechenschieber dabei und trug immer zwei Schweizer Uhren. Kein Wunder also, dass er die Inspiration für den Professor Bienlein des Comiczeichners Hergé wurde, der irgendwann in die Comicserie Tim und Struppi aufgenommen wurde und den jungen Reporter Tim mit zum Mond nahm und das zwanzig Jahre, bevor die Wirklichkeit die Fiktion endlich eingeholt hatte. In Der Schatz Rackhams des Roten aus dem Jahr 1943 nahm Bienlein, der in der französischen Originalausgabe Tournesol hiess, Tim mit hinab auf den Meeresgrund. Es sollte allerdings noch zehn Jahre dauern, bis Auguste Piccard diese Fiktion einholte. Im Jahr 1953 tauchte er mit seiner hochdruckfesten Tiefseekapsel alle bisherigen Rekorde brechend im Mittelmeer bis auf eine Tiefe von 3‘150 Metern. Diesmal war sein Partner sein Sohn Jacques.
Jacques jedoch reichte das nicht. Er verkaufte die Tiefseetauchkapsel Trieste, die sich im Besitz seiner Familie befand, an die US-Marine und mit deren weiterer finanziellen Hilfe tauchte er zusammen mit seinem Partner Don Walsh 1960 weit tiefer als alles, was in Tim und Struppi je beschrieben worden war: Sie tauchten bis hinab zum tiefsten bekannten Punkt des Marianengrabens im Pazifischen Ozean auf fast 11‘000 Meter. In einem Artikel des New Yorkers aus dem Jahr 2020 wurden Jacques Umweltaktivitäten dargestellt, denn tatsächlich war er im Lauf der Jahre zu einem leidenschaftlichen Umweltschützer geworden. Dies war zu einer Zeit, als die US-amerikanische Regierung erwog, den Boden des Marianengrabens als Endlager für ihren Atommülls zu benutzen. Aus diesem Grund begaben sich die beiden Forscher wieder auf den Weg nach unten in der Hoffnung, auf dem Meeresgrund Leben zu finden und so die geplante Endlagerung zu verhindern. Und tatsächlich fanden sie Leben. Obwohl sie über keinerlei wissenschaftliche Instrumente verfügten, um Aufzeichnungen machen zu können, erklärten sie nach ihrem Auftauchen, einen Plattfisch gesehen zu haben, wie er durch den Schlamm auf dem Grund geschwommen war. Doch stimmte das wirklich? Wissenschaftler bestreiten, dass in derartigen Tiefen Leben existieren kann, aber die Beiden waren unzweifelhaft bis in diese Rekordtiefe abgetaucht und es ist ihrem Bericht zu danken, dass die Welt davon überzeugt werden konnte, den Meeresboden von Giftmüll freizuhalten.
Zurück in Europa wandte sich Jacques Sohn, Bertrand, von den Meerestiefen ab und richtete den Blick wieder in die Höhe. Trotz seiner früheren Höhenangst, widmete er sich der ganzen Palette des Flugsports, wie Drachenfliegen, Paragleiten und Ballonfahren und 1985 wurde er Europameister im Deltakunstfliegen. Er hatte begonnen, Medizin zu studieren, um Psychiater zu werden, denn er war fasziniert davon, wie Menschen lernen können, ihre Ängste und Phobien zu beherrschen, ja, sogar ihr Zeitgefühl zu kontrollieren. Um einen kühlen Kopf zu bewahren, wandte er eine Reihe verschiedener Techniken an, darunter auch Hypnose, als er und sein Kopilot Brian Jones die Erde zum ersten Mal erfolgreich in einem Ballon umrundeten. Sie starteten in Château d’Oex, in der Schweiz. Bernards Flug um die Erde war inspiriert von Jules Vernes Roman In 80 Tagen um die Welt aus dem Jahr 1872 – sie legten diese Reise über hundert Jahre später, im Jahr 1999 zurück, allerdings in weniger als zwanzig Tage.
Bertrand hatte das Umweltbewusstsein seines Vaters geerbt und ihn störte die Tatsache, auf seinem Rekordflug im Ballon auf fossile Brennstoffe angewiesen gewesen zu sein. Darum schwor er sich, eine weitere, ähnliche Reise, diesmal mit erneuerbarer Energie zu unternehmen. Mit Solar Impulse 2, einem mit Sonnenenergie betriebenen Carbonfaser-Flugzeug, so gross wie ein Airbus und dabei so leicht wie ein Familienauto, gelang ihm dies. Bertrand und sein Kopilot André Borschberg wechselten sich auf ihrem Flug von Station zu Station ab und beendeten die Reise am 24. April 2016.
Was treibt diese visionäre Schweizer Familie zu derartigen Extremen? Wahrscheinlich würden die Piccards antworten: Wir tun‘s einfach, weil wir wollen! Auguste sagte einmal, als die Leute in davor warnten, damals, im Jahr 1930 in die Stratosphäre aufzusteigen, ihr einziges Argument dafür, seinen Plan nicht umzusetzen, sei gewesen, „dass es bisher noch nie getan worden war.“ Sein Enkel Bertrand griff diesen Satz Jahrzehnte später auf und sagte, wenn man der Familie sagen wollte, etwas sei unmöglich, wäre die Antwort immer: „Genau darum tun wir es erst recht!“ Von der Stratosphäre hinab auf den Meergrund bis zu einem solarbetriebenen Flug um die Erde, was mag diese unternehmenslustige Familie als Nächstes planen?