Sie können Pestizide, synthetische Farbstoffe und sogar Sprengstoff abbauen. Sie ernähren sich von gebrauchten Windeln, Zigarettenstummeln und Rohöl und sind in der Lage, in höchst radioaktiven Umgebungen zu existieren. Die Rede ist von Pilzen, die in der aufstrebenden Mykroremediations-Industrie eingesetzt werden, uns dabei zu helfen, die Welt zu retten.
Mykoremediation ist die auf Pilze spezialisierte Untergruppe von Bioremediation, also die Anwendung verschiedener biologischer Stoffe wie Pflanzen, Algen, Bakterien und eben Pilze zur Bekämpfung von Umweltschäden. Im Kampf gegen chemische Schadstoffe, Schwermetalle und sogar Giftmüll kommt der stetig wachsende Bereich der Mykoremediation in immer grösserem Umfang zum Einsatz. Die ersten Impulse wurden unteren anderem von Visionären wie Paul Stamets gesetzt, dessen sehr erfolgreicher TED-Talk aus dem Jahr 2008: „6 Wege, wie Pilze die Welt retten können“ erheblichen Einfluss hatte und millionenfach gesehen wurde.
Durch katastrophale und unkontrollierte Waldbrände in Nord Amerika und Europa können Wohnhäuser, Sommercampingplätze und sogar ganze Dörfer vernichtet werden. Neben Holz, Glas und Beton gehören auch Abfallstoffe wie Kunststoffe, Chemikalien und Schwermetalle, zum Beispiel Blei oder Quecksilber zu den verkohlten Resten. Mit den ersten nach den Bränden einsetzenden Regenfällen können sie in Flüsse, Seen und in den Ozeanen enden, vor allem, weil von Feuer heimgesuchte Flächen einer weit grösseren Bodenerosion ausgesetzt sind. In der herkömmlichen Sanierung solcher Bereiche werden die oberen, kontaminierten Erdschichten abgetragen, abtransportiert und verbrannt.
Wenn nach einem Brand Mykoremediation eingesetzt wird, bieten sich weit bessere Alternativen. Pilze erzeugen Enzyme, die in der Lage sind, selbst hochtoxische Chemikalien zu verdauen. Durch diesen Prozess werden Schadstoffe zur Nahrung für Pilze und also von ihnen verspeist.
Das haben sie schon vor zig Millionen Jahrzehnten gelernt, als Pilze als erste Organismen Lignin zersetzen konnten, das Strukturpolymer, das Holz seine Härte und Haltbarkeit verleiht. Eine Welt ohne Pilze war buchstäblich unter sich nicht zersetzendem pflanzlichem Material begraben – eben das Material, das während Millionen von Jahren komprimiert und dadurch zu dem wurde, was wir heute als fossile Brennstoffe bezeichnen. Die Welt jedoch, die wir heute kennen, begann, als sich bei Pilzen die Fähigkeit herausbildete, Lignin zu zersetzen – und dazu alles andere auch! Sie sind die natürlichen Zersetzer der Erde, wenn man so will: der Magen der Welt.
Die grossen Knollen oder Hüte oben auf den Stielen von Pilzen sind das, was wir sehen, der Fruchtkörper eines Mycels oder Pilzgeflechts jedoch, ist ein Netzwerk mikroskopisch kleiner Zellen, die sich zu dem verweben, was die Basis unseres Erdbodens ausmacht. Es sind diese Pilzgeflechte, von denen man heute weiss, dass sie in der Lage sind, E. coli-Bakterien aus kontaminiertem Wasser zu filtern. Überdies pflanzt man sie heute an, um toxische Ascherückstände nach einem Waldbrand zu binden.
Öl, dessen Kohlenwasserstoffverbindungen ähnliche Eigenschaften wie Lignin besitzen, ist ein weiterer Arbeitsbereich für Mykoremediation. Es hat sich gezeigt, dass das Netzwerk des Gelbstieligen Muschelseitlings diese Verbindungen abbauen und sie in Kohlenhydrate umwandeln kann, die wiederum Nahrung für Pilze und Insekten sind, die ihrerseits Pflanzen nähren. All das gibt uns Hoffnung zu der Annahme, dass eine Ölpest auf diese Weise schnell in ein blühendes Ökosystem verwandelt werden kann.
Pilze haben sich derart entwickelt, dass sie fast alles abbauen können. Wissenschaftler in Tschernobyl waren verblüfft, als sie herausfanden, dass ein bestimmter Pilz fähig war, in der hochradioaktiven Umgebung des zerstörten Reaktors 4 gedeihen zu können. Es muss allerdings angemerkt werden, dass unsere Versuche, Pilze genau das abbauen zu lassen, wann wir es wollen, immer noch in den Kinderschuhen stecken. Ökosysteme sind wichtig und es wäre die beste Lösung, wenn Pilze bereits genau in der Nähe von potentiellen Katastrophengebieten wachsen würden, um dann dort zur Anwendung zu kommen. Das allerdings erfordert umfangreiche Tests und in ihrer Folge eine Reihe von festgelegten Normen und Massnahmen. Die einfachste Lösung wäre, jedwedes toxische Problem bereits an der Quelle zu eliminieren, die nächstbeste aber könnten Pilze sein, die ihre magische Wirkung entfalten, genau wie sie es seit Millionen von Jahren schon tun.