Iss Nahrungsmittel.
Iss nicht zu viel.
Iss hauptsächlich pflanzlich.
Die Entscheidung, was es zum Abendessen gibt, kann – ja, sollte sogar – genauso einfach sein, wie es diese drei Regeln vorschreiben. Allerdings kritisiert der US-amerikanische Journalist und Bestseller-Autor Michael Pollan in seinen Artikeln und Büchern über Ernährung und Gesundheit seit zwei Jahrzehnten, dass die moderne Welt die Entscheidung darüber, was auf den Tisch kommen soll, sehr viel komplizierter gemacht hat.
Wie Pollan in seinem Buch 64 Grundregeln ESSEN: Essen Sie nichts, was ihre Grossmutter nicht als Essen erkannt hätte, gewann man im 19. Jahrhundert eine vollkommen neue Sichtweise auf das, was als Nahrungsmittel angesehen wurde. Zum ersten Mal in der Geschichte begann man Lebensmittel in Bezug auf ihre Nährstoffe hin zu betrachten und zu verstehen, sie mit anderem zu vergleichen und sie auf dieser Grundlage zu bewerten. Zunächst waren es die sogenannten Makronährstoffe oder Grundnahrungsmittel: Eiweiss, Fette und Kohlenhydrate, im folgenden Jahrhundert kamen dann die Mikronährstoffe oder Spurenelemente hinzu: Vitamine, Minerale, Antioxidantien und vieles mehr.
Heute erscheint uns die Vorstellung „Essen ist die Summe seiner Nährstoffe“ vollkommen normal, tatsächlich aber stellt sie einen Bruch mit einer jahrtausendealten Tradition dar.
Eine neue Ideologie ist entstanden, Pollan nennt sie Nutritionismus, das Dogma von der Ernährung, danach wird Essen lediglich als Vehikel für den Transport von Nahrungsmitteln und der Prozess des Essens ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt körperlicher Gesundheit betrachtet. Unglücklicherweise hat uns das für alle anderen Aspekte des Essens blind gemacht. Vielleicht aber sind genau diese Aspekte sehr viel wichtiger, nämlich wie wir unser Essen zubereiten und verspeisen, die Zeit, die wir darauf verwenden und mit wem wir das alles tun.
Mit anderen Worten: Esskultur. Oder besser: Kulturen, Plural. Alle verschiedenen und auf ihre Weise einzigartigen und vielfältigen Esskulturen wurden seit je von den Müttern an die Kinder weitergegeben, von Generation zu Generation, in jeder Gemeinschaft überall auf der vormodernen Welt. Esskulturen, die sehr unterschiedliche, aber stets nachhaltige Ernährungsweisen zeigten, wie solche, die sich hauptsächlich von Fisch ernährten, andere, die von Gemüse lebten, wieder andere, die meist Fleisch zu sich nahmen und natürlich auch alles, was es dazwischen gab. Ehemals hatten wir unsere Mütter und Familien, die uns unsere jeweilige Esskultur lehrten, aber sie wurden in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts von einer Armee von hoch spezialisierten Lebensmittelwissenschaftlern, Regierungsbehörden und den Marketingteams der grossen Unternehmen in dieser Branche verdrängt.
Das führte zu einer explosionsartigen Zunahme angewandten Nutritionismus‘ und damit zu Lebensmitteln, die uns wie Marktschreier in den Regalen und Gängen der Supermärkte Versprechungen für unsere Gesundheit entgegen brüllen. Wenig Fett! Wenig Cholesterin! Vitaminreich! Ohne Zucker! Reich an Ballaststoffen! Es muss an ein Wunder gegrenzt haben, dass wir überhaupt je in der Lage waren zu wissen, was wir essen sollten, bevor die Lebensmittelverpackungen es uns erklärten.
Das Problem ist, dass die meisten dieser Behauptungen einfach nicht stimmen. Die industriellen Wunderspeisen von gestern, sind die heutigen Hauptverdächtigen in der Liste der Krebserreger, denn wenn wir uns mit künstlich hergestellten Nahrungsmitteln vollstopfen, öffnen wir möglicherweise einer Vielzahl von unbekannten Nebenwirkungen Tür und Tor. Ganz abgesehen jedoch von allen Wundern, die die modernen Ernährungswissenschaften für sich reklamieren, nehmen Herzerkrankungen und Diabetes stetig zu. Das einzige, das sich, so Pollan, mit Sicherheit über das letzte Jahrhundert bestimmt vom Nutritionismus sagen lässt: Es hat uns keinen Deut gesünder gemacht.
Doch wie Pollan schreibt, geht es auch einfacher, denn alles beginnt mit dem Essen an sich. Echtem Essen von der Art, wie es auch deine Urgrossmutter als essbar erkannt hätte. Es geht um die Art, die auch heute noch in den abgelegenen Gängen der Supermärkte ihr Dasein fristet, im Obst- und Gemüsegang, in der Backabteilung, im Bereich der Milchprodukte und an der Feinkosttheke.
Das Beste an Pollans drei Ernährungsregeln aber ist, dass sie nicht dogmatisch sind, es gibt kein „nur X“ oder „nie Y“ und anders als bei den meisten anderen Diäten kann man sie sich sehr leicht merken und vor allem anwenden. Überdies kannst du sicher sein, dass sie im Gegensatz zu anderen Ernährungsvorschlägen nie von irgendeiner „neuesten wissenschaftlichen Studie“ über den Haufen geworfen werden. Pollans einfache Regeln für eine gesunde Ernährung wurden von den traditionellen Esskulturen der Welt abgeleitet, es sind Regeln, nach denen es sich zu leben lohnt.
Die Antwort auf die Frage Was sollen wir zu Abend essen? war noch nie so schwer zu beantworten. Aber mit den richtigen Anleitungen könnte es nicht einfacher sein.
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