Menschen sind Maximalisten, instinktiv wollen wir immer mehr. Die Millionen von Jahren unserer Evolution waren stets von Ressourcenknappheit bestimmt, und so sind wir darauf programmiert, alle Dinge, die wir brauchen, zu schnorren, zu sammeln und einfach anzuhäufen – und nicht nur das, vorsichtshalber nehmen wir auch noch alles mit, was wir vielleicht gebrauchen könnten … für alle Fälle.
Während wir in weiten Teilen der modernen Welt den Spieß erfolgreich umgedreht haben, hatte die Evolution keine Zeit, diesen Rückstand aufzuholen. Aber leider haben wir für unsere Sammelwut keinen Aus-Schalter, und darum quellen unsere Küchen- und Kleiderschränke, unsere Garagen und Lagerräume auf eine Weise über, dass unser Verhalten schon einen Namen hat, der Eingang in die Kataloge unserer modernen, psychologischen Störungen gefunden hat.
Die Mayo Klinik beschreibt das Messie Syndrom so:
Das Horten von Dingen kann zu extrem eingeschränkten Wohnverhältnissen führen, oft bieten sich nur noch sehr schmale, kaum begehbare Wege durch Stapel von Unrat überall. Arbeitsplatten, Waschbecken, Herde, Schreibtische, Fussböden, Treppen und alle möglichen Oberflächen sind mit Dingen zugestellt. Meist kann man bestimmte Bereiche nicht mehr für ihren eigentlichen Zweck nutzen. So wird es zum Beispiel oft unmöglich, in der Küche zu kochen. Findet sich dann in der Wohnung kein ausreichender Platz mehr, kann sich der Unrat bis in die Garage, in Fahrzeuge, den Aussenbereich oder andere mögliche Lagerflächen ausdehnen.
Die meisten von uns hören irgendwann damit auf, wenn es zu viel wird – jedenfalls in der wirklichen Welt. Jedoch sind unsere digitalen Räume gerammelt voll mit Downloads, Fotos, Video- und Audiodateien. Wir haben 500 Fernsehsender, ein halbes Dutzend Streaming-Abonnements und Computer, die Terabytes an Speicherplatz benötigen, um noch die letzte E-Mail zu speichern, die wir seit dem Gymnasium erhalten haben und dazu jedes noch so unscharfe und schlecht geschnittene Foto, von dem wir uns nicht trennen können. Wenn die Dinge nicht mit spürbaren Kosten verbunden sind, schaffen wir es einfach nicht, Nein zu mehr zu sagen.
Mehr ist eben einfach. Es ist der Weg des geringsten Widerstands. Sieh dir einfach unsere digitalen Werkzeuge an. Nicht nur die wenig oder nie benutzten und vor sich hindämmernden Apps auf den Bildschirmen unsere Telefone, auch die Apps selbst. Viele davon waren zu Beginn ganz simpel, sie erledigten ein, zwei Dinge anders als gewohnt und auch recht gut, bis Kunden, die Aktionäre oder die eigene Unsicherheit die Entwickler dazu gezwungen hat, mehr hinzuzufügen, mehr Funktionen, mehr Möglichkeiten, mehr Glockenschläge und Klingelzeichen. Und am Ende sind sie abgesehen von der Farbe und dem Logo nur noch schwer voneinander zu unterscheiden.
Natürlich hat es immer auch eine Gegenbewegung gegeben, die sich unseren natürlichen Instinkten widersetzt und genau das Gegenteil vertritt: Einfachheit. Der US-amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau hat sich im 19. Jahrhundert in eine spartanische Hütte in den Wäldern von Walden zurückgezogen und geschrieben: „Ein Mensch ist reich gemessen an all den Dingen, auf die er verzichten kann.“ Einhundertdreiundzwanzig Jahre später verkündete die Apple Computer Company im Jahr 1977 in einer Werbebroschüre für den Apple II: „Einfachheit ist die höchste Form der Raffinesse.“
Raffinesse ist hier ein Schlüsselwort, denn Einfachheit ist nicht nur ein leeres Gefäss – also jede Menge nichts. Aber es bedeutet ebenfalls nicht, dass man eine komplexe Institution aus schierer Ignoranz mit einer Kettensäge traktieren soll – das wäre einfach nur Vandalismus.
Einfachheit mit Raffinesse bedeutet, die gesamte Komplexität eines Produkts, einer Institution oder eines individuellen Lebens zu begreifen und alles Überflüssige zu tilgen und gerade so viel übrigzulassen, dass alles bestens funktioniert und auf den ganzen Rest zu verzichten.
Aber schon Steve Jobs von Apple wusste, dass das harte Arbeit ist. Angesichts all unseres physischen und digitalen Unrats, aller unnötigen Funktionen und sinnlosen Extras in unserem Leben, ist die harte Arbeit, die Einfachheit einem abverlangt, vielleicht doch den Aufwand wert.