Die Schulkinder haben die Hälfte des neuen Schuljahrs um, es ist Herbst und Fälle von Kopfläusen häufen sich wieder. Seit dem Jahr 1‘700 v.u.Z. hat sich also nicht sehr viel getan, wie aus dem ältesten Satz hervorgeht, der im ältesten Alphabet der Menschheitsgeschichte geschrieben wurde.
Im letzten Jahr wurde ein kleiner Kamm wieder entdeckt, auf dem der älteste vollständige Satz des ersten Alphabets der Welt eingraviert war. Er war von Archäologen in den Ruinen von Lachisch gefunden worden, einer bedeutenden, antiken kanaanitischen Stadt, die im heutigen Israel liegt. Der Elfenbeinkamm ist etwa 3,5 cm lang und hat auf der einen Seite, vermutlich zum Entwirren der Haare, Zähne mit breiten Zwischenräumen und auf der anderen Seite eng stehende Zähne. Die Funktion dieser letzteren Zähne wurde durch den Fund von Spuren der harten Aussenhülle einer Laus im Larvenstadium bestätigt, die sich dort gehalten hatten. Genau, es handelt sich um einen Läusekamm.
Nun sind Läuse nicht wirklich etwas Aussergewöhnliches, denn sie konnten schon auf ca. 10‘000 Jahre alten prähistorischen Schädeln nachgewiesen werden. Aus diesem Grund war der Fund der Wanzenstücke an sich nicht so aufregend. Vielleicht kam das eigentlich Erstaunliche des Fundes dieses Kamms darum erst nach mehr als 5 Jahren buchstäblich ans Licht, während derer er in einer Schublade aufbewahrt wurde. In einem Interview mit der BBC beschreibt Dr. Madeleine Mumcuoglu von der Hebrew University in Jerusalem, wie sie den Kamm unter eine sehr helle Lampe hielt, um ihn zu fotografieren, nachdem sie sich entschlossen hatte, eine wissenschaftliche Arbeit darüber zu schreiben: Was sie da sah, verblüffte sie.
Der Kamm war mit einer Reihe von winzig kleinen kanaanitischen Buchstaben beschriftet, die nach der Übersetzung den folgenden Satz ergaben: Möge dieser Stosszahn die Läuse in Haar und Bart ausrotten.
Ob es sich dabei um so etwas wie ein Gebet oder die antike Version eines Werbetexts handelt, der die Wirksamkeit des Produkts eines Kammmachers anpries, wissen wir nicht, eins allerdings ist durch diese Entdeckung gesichert worden: Es ist unser einziger vollständig erhaltener Satz in kanaanitischer Schrift. Zwar ist das kanaanitische Alphabet gut bekannt, aber vor dem Fund dieses Kamms hatte man noch nie einen vollständigen Satz in dieser Sprache gefunden, denn alle bisher entdeckten Texte in der kanaanitischen Sprache sind blosse Fragmente.
Der Versuch einer Datierung des Kamms mithilfe der Kohlenstoffmessung ergab keine Resultate, aber der Schrift nach zu urteilen, schätzen Wissenschaftler, dass er etwa 3‘700 Jahre alt ist. Damit ist die Inschrift unser ältester vollständiger Satz in einer alphabetischen Sprache, der je gefunden wurde.
Das kanaanitische Alphabet ist das älteste Alphabet der Welt überhaupt. Und alle, die je Arabisch, Griechisch, Hebräisch oder Latein geschrieben und gelesen haben – oder die je einen davon abgeleiteten Text geschrieben oder gelesen haben – haben dies den Kanaanitern zu danken. Einige der Buchstaben auf dem Kamm, unter anderen das Q, X, W und V, sehen unseren Buchstaben erstaunlich ähnlich.
Das antike Volk der Kanaaniter lebte von etwa 3‘500 bis 1‘100 v.u.Z. am östlichen Mittelmeer, da, wo heute Syrien, Jordanien, der Libanon, Israel und Palästina liegen. Es steht zu vermuten, dass sie ihr Alphabet von den älteren nicht-alphabetischen Schriftsystemen ihrer Nachbarn in Ägypten und Sumer hergeleitet haben.
So alt, wie die Inschrift auf dem Kamm auch ist, sie spiegelt auch heute ein kleines und immer noch sehr bekanntes Problem vieler Menschen: Ungeziefer im Haushalt. Und das wissen alle Eltern des heutigen 21. Jahrhunderts nur zu gut, die die Köpfe ihrer Kinder im schulpflichtigen Alter besonders im Herbst mit einem feinen Kamm nach Läusen inspizieren.